Die bunte Wiese pflegen - oder ein Jahrzehnt der Kooperationen

Lange Tradition

Kooperationen von Kirchgemeinden sind nichts Neues. Bereits 1916 bestimmte der Grosse Rat des Kantons Bern per Dekret 8 kirchliche Bezirke mit angestellten Bezirkshelfenden, die als Aushilfe von den Kirchgemeinden abgerufen werden konnten. Dies kann mit Fug und Recht als eine erste regionale Zusammenarbeit bezeichnet werden, entsprach doch diese Vorgabe der regionalen  Regelung der Vertretung von Pfarrpersonen).

Mit der Zeit übernahmen diese Bezirke (zwischenzeitlich waren es 21) vermehrt regionale Aufgaben. Eine diesbezügliche Verpflichtung wurde im damaligen Bezirksreglement der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn festgehalten.
So entwickelte sich beispielsweise, dass Ehe-Partnerschaft-Familienberatungsstellen und Heilpädagogische KUW von vielen Bezirken als regionale Aufgabe übernommen wurden. Einzelne Bezirke schafften Schuldenberatungsstellen, andere traten mit einem gemeinsamen Auftritt an die Öffentlichkeit.

Und in vielen Kirchgemeinden gehören mittlerweile Kanzeltausch sowie gegenseitige Vertretungen seit langem zum Courant normal und zu guter Nachbarschaft.

Agieren statt resignieren

Zu Beginn des neuen Jahrtausends bekam die Frage regionaler Kooperationen allerdings eine neue Dimension: Im Jahr 2003 entschied der Grosse Rat des Kantons Bern, ab dem Jahr 2008 25 reformierte Pfarrstellen einzusparen. Zwar gab es bereits eine Reduktion im Jahre 1998, diese betraf aber vor allem die kleineren Kirchgemeinden. 2003 wurden dann die Schwierigkeiten flächendeckend erkennbar: weniger Reformierte und allgemeiner Spardruck beim Kanton. Dazu kam noch Reformbedarf bei der Kirchenzeitung sämann (heute reformiert.): Es konnte mangels ausreichender finanzieller Mittel  nicht mehr für jede Kirchgemeinde eine eigene Beilage produziert werden.

Viele Kirchgemeinden nutzten in der Folge die eine (Brief des kirchlichen Beauftragten mit der Aufforderung mit den Nachbargemeinden Kontakt aufzunehmen) oder die andere (der sämann forderte die Kirchgemeinden auf, regionale Beilagen zu organisieren) Gelegenheit, um mit den Nachbarkirchgemeinden in Kontakt zu treten. Zahlreiche der heutigen Kooperationen nahmen denn auch im Jahr 2003 ihren Anfang: Etliche Kirchgemeinden nutzten die Krise als Ausgangspunkt für eine vertiefte regionale Zusammenarbeit - um Ressourcen effizienter zu nutzen, um das Angebot der Kirchgemeinde zu erweitern, um zukunftsfähig zu werden.

Bunt und lebendig - der Stand der Dinge

Im Jahr 2005 beschloss die Synode, die regionale Zusammenarbeit zu fördern und erteilte den  gesamtkirchlichen Diensten der Reformierten  Kirchen Bern-Jura-Solothurn im Rahmen des Projektes "Kirche und regionale Entwicklung" den Auftrag, aktiv auf Kirchgemeinden zuzugehen und die Kirchgemeinden über unterschiedliche Methoden miteinander in Kontakt zu bringen: mit Zukunftskonferenzen, regionalen Austauschtreffen, Präsidienkonferenzen, Pfarrkonferenzen, Weiterbildungen und Tagungen wurden die Kirchgemeinden auf das Thema sensibilisiert. Ebenso konnten interessierte Kirchgemeinden bei den gesamtkirchlichen Diensten Beratung abholen.

Es zeigte sich erfreulich viel Dynamik in den letzten Jahren. Ein wahrlich buntes Bild all der entstandenen oder weiter gewachsenen Zusammenarbeitsformen und -inhalte ergaben die Tagungen "Gemeinde im Zentrum - Region im Blick" anfang des Jahres 2012. Alle Bereiche der gesamtkirchlichen Dienste und ungefähr 100 Teilnehmende debattierten über 2 Tage die Möglichkeiten, sowie die Chancen und Gefahren regional kooperierender Kirchgemeinden. Auf einem Markt der Möglichkeiten präsentierten sich 20 verschiedene Kooperationen - lebendig und bunt: von KUW über Erwachsenenbildung zu Migrationsarbeit und Kultur; von loser Zusammenarbeit über vertraglich festgelegte Kooperation bis hin zur Fusion. Genau so, wie es der Synodalrat sich wünscht: Eine bunte Wiese der Kooperationen, die gedeiht und wächst und immer mehr zu einem System wird, das  Energien für die Kür der Kirchgemeinden freisetzt und zur Normalität wird. Oder, wie es eine Kirchgemeindepräsidentin auf die Frage, warum sie bei einer Weiterbildung mit den Nachbargemeinden kooperiere, einmal sehr überrascht formulierte: "Warum sollten wir das nicht tun?"

Allerdings zeigten die Tagungen der letzten Jahre auch auf, dass nur ein Teil der Kirchgemeinden erreichbar ist. Die, die unterwegs sind in die kirchliche Region, sind dynamisch unterwegs. Die anderen bleiben skeptisch. Kirchgemeinden, die für sich noch nicht entdeckt haben, dass Zusammenarbeit gewinnbringend sein kann, sind sehr schwer erreichbar.

Ein Blick nach vorne

Um der Zusammenarbeit der Kirchgemeinden noch mehr Schub zu geben, hat der Synodalrat einiges in die Wege geleitet:

  • Die Bezirke bekamen mit der von der Synode gutgeheissenen Bezirksreform die Aufgabe zugewiesen, die Zusammenarbeit in ihrem Gebiet zu fördern.
  • Der Bezirksfonds wurde für die finanzielle Unterstützung regionaler Bedürfnisse und Kooperationen geöffnet.,
  • Der Synodalrat fördert die Zusammenarbeit der Bereiche der gesamtkirchlichen Dienste, um die Kooperationen vor Ort mit Inhalten zu füllen. Kooperation braucht immer einen Inhalt.  Der erste Inhalt kann die KUW sein oder die Migrationsarbeit oder die Ökumene oder sozialdiakonische Aufgaben. Nur wenn alle Bereiche der gesamtkirchlichen Dienste der regionalen Zusammenarbeit genügend Aufmerksamkeit schenken, werden auch die Kirchgemeinden vor Ort optimal begleitet auf dem Weg zu sinnvollen und inhaltsreichen Kooperationen.
  • Der Synodalrat hat personelle und finanzielle Ressourcen zur Dokumentation, Sensibilisierung, Beratung und Unterstützung motivierter Kirchgemeinden zur Verfügung gestellt - damit vor Ort die relevanten Informationen und Werkzeuge vorhanden sind und erfolgreiche Modelle nachgeahmt werden können.

Bei einem Blick in die Zukunft stellt sich im momentanen Umfeld sicherlich auch die Frage nach den Fusionen, die im vergangenen Jahrzehnt eher ein Randthema waren (2 Fusionen von insgesamt 5 Kirchgemeinden). Die Fusionsfrage hat mit der Fusion der verschiedenen Kirchgemeinden in der Stadt Biel zu einer Gesamtkirchgemeinde und mit der Revision des Fusionsgesetzes des Kantons Bern (das neu auch für die Kirchgemeinden gilt) eine neue Dynamik entwickelt. Der Synodalrat empfiehlt denn auch den Kirchgemeinden, deren politische Gegenüber Fusionen anstreben, eine kirchliche Fusion ebenfalls zu prüfen. Für einen Fusionsprozess stellen die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn Know-how zur Verfügung.

Ob Fusion, Kooperation, regionale Zusammenarbeit: Ziel war es in den letzten zehn Jahren - und bleibt es auch in der weiteren Zukunft - mit den Menschen vor Ort eine verlässliche und vielfältige Kirche zu leben, in der die Glieder des Leibes Christi sich gemeinsam umeinander sorgen (1. Korinther 12, 24 f.)

Ralph Marthaler