Die Kirche trennt sich vom Gwatt

"Die Kirche trennt sich vom Gwatt".  Mit diesem Auftrag an den Synodalrat zog die Synode im Sommer 2001 einen Schlussstrich unter die langjährigen Bemühungen, die frühere "Reformierte Heimstätte"  am Thunersee mit finanziellen Zuschüssen zu retten und als kirchliches Zentrum weiter zu führen.  Die Erfüllung des Auftrags war jedoch komplexer als angenommen: Zielkonflikte und rechtliche Rahmenbedingungen standen einer raschen und definitiven Trennung entgegen.  Zudem wurde der Verkauf  von vielen kirchlich Engagierten schmerzlich empfunden. Sie schätzten das Gwatt als sichtbaren Ausdruck einer weltoffenen und gesellschaftlich engagierten Kirche. Begreiflicherweise konnten sie nicht ohne weiteres akzeptieren, dass die 1930 begründete kirchliche Präsenz am Ufer des Thunersees zu Ende gehen sollte. Erst im Frühjahr 2008 war es soweit: Mit der Hauenstein-Gruppe aus Thun konnte ein Kaufvertrag abgeschlossen werden. Doch ein Problem war auch am Ende der Dekade noch nicht gelöst: Die Sanierung der sogenannten "Bauherren-Altlast" (ehemalige Kehrichtdeponie) im südlichen Teil des Areals.

Gründung und Blütezeit der Reformierten Heimstätte

Der Jahrzehntbericht ist nicht der Ort, um die Geschichte der Reformierten Heimstätte Gwatt aufzuarbeiten. Trotzdem müssen wir einen Blick zurück werfen und uns über die Bedeutung des "Gwatt" für unsere Kirche kurz Rechenschaft geben. Sonst  versteht man die teils emotionalen Auseinandersetzungen um den Verkauf nicht.

Überliefert sind uns die persönlichen Erinnerungen der Gründerin Lisel Moser[1], einer beeindruckenden Frau, die ihrer Zeit weit voraus war und die ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Erwartungen und Normen ihre Ideen verwirklichte. Als Blaukreuz-Jugendsekretärin hatte sie bereits in Achseten und Mannried bei Zweisimmen Jugendlager eingerichtet, Ende der 20-er-Jahre  suchte sie an zentraler Lage am Thunersee einen Ort für ihre Aktivitäten. Im sumpfigen Gebiet des Gwatt, links der Kandermündung, fand sie diesen Ort und begann 1930 mit dem Aufbau der Heimstätte für die Jugend. Bald darauf wurde das Schilfhaus im Westteil gebaut, und das Gwatt wurde zum Jugendtreffpunkt mit nationaler Ausstrahlung. Nach dem Zweiten Weltkrieg  gründete Lisel Moser die ebenso beliebte Tessiner Heimstätte in Moscia bei Ascona, die heute von den Vereinigten Bibelgruppen VBG geführt wird.

Rufen - nicht fürchten, Blaukreuz-Verlag Bern, 1964, Nachdruck Jubiläumsauflage 2005 von Lisel Moser.
Foto Lisel Moser (links) und ihre Mitarbeiterin Anni Rickenbacher.

Die Heimstätte Gwatt wandelte sich in den Nachkriegsjahren allmählich vom Jugendlager zu einem Kirchgemeindehaus für den Kanton Bern[2]. Als Trägerin der Heimstätte wirkte eine  Genossenschaft, der die meisten bernischen Kirchgemeinden und auch Private angehörten, was zu einer starken Identifikation der kirchlichen Basis mit "ihrem" Gwatt beitrug.  Im Gwatt war ab 1965 die erste Schule für Sozialarbeit untergebracht. Hier hatte auch die kirchliche Erwachsenenbildung ihren Stützpunkt: Profilierte Studienleiterinnen und Studienleiter thematisierten die Einbettung der Kirche in die verschiedensten gesellschaftlichen Strömungen und Tendenzen. Der gesellschaftliche Aufbruch der 68-er-Jahre steigerte die Nachfrage nach Bildungs-Wochenenden und Wochenkursen zu gesellschaftlichen und ethischen Themen aller Art. Die Reformierte Heimstätte Gwatt übernahm die Funktion einer glaubwürdigen gesellschaftlichen Mediatorin und Moderatorin, welche unterschiedliche Gruppierungen zusammenführte und miteinander ins Gespräch brachte. Legendär sind die Begegnungen zwischen Offizieren der Schweizer Armee und Militärdienstverweigerern aus Gewissensgründen  -  etwas, das in der Zeit des Kalten Krieges nicht selbstverständlich war.  Gesucht war das Gwatt zunehmend auch für Weiterbildungsangebote der Privatwirtschaft. Weil daneben auch Ferienwochen für landwirtschaftliche Dienstboten angeboten wurden, begegneten sich "Knechte" und "Direktoren" auf dem Areal.

Tracht und Heimat - ein regelmässiger Gast.
Teilnehmer an der Woche für landwirtschaftliche Angestellte.

Die steigende Nachfrage und auch die gestiegenen Komfortbedürfnisse veranlassten die Genossenschaft, neue Häuser  zu bauen. Charakteristisch sind die in den 60-er-Jahren entstandenen drei Zelthäuser, die auch gestalterisch den Aufbruch in die Neuzeit symbolisieren sollten. Allerdings löste dieses futuristische und nicht ganz ausgegorene architektonische Konzept in den Folgejahren einen grossen Unterhaltsaufwand aus. Kurz vor 1980 wurde als Letztes das Restaurantgebäude "Gwatt-Stern" gebaut, in welchem ein öffentliches Restaurant betrieben wird. Nach einer kirchenintern intensiv geführten Diskussion wurde hier Alkohol ausgeschenkt, womit sich das Gwatt definitiv vom geistige Erbe der Gründerin  und Blaukreuz-Sekretärin Lisel Moser löste.

Zelthäuser und Gwatt-Stern.

Der Bedeutungsverlust als kirchliches Zentrum und die Rettungsversuche

Wie die gesellschaftliche Entwicklung die Reformierten Heimstätte zum Blühen brachte, so waren  es ebenso in erster Linie gesellschaftliche Entwicklungen, welche später ihren Niedergang einläuteten. Die Schule für Sozialarbeit wurde 1975 nach Bern verlegt und dort mit der staatlichen Abendschule für Sozialarbeit fusioniert. Die kirchliche Erwachsenbildung veränderte sich, als viele Kirchgemeinden in den 70-er- und 80-er-Jahren eigene Kirchgemeindehäuser bauten, womit das Gwatt seine Bedeutung als Kirchgemeindehaus für den ganzen Kanton verlor. Am Schluss dieser Entwicklung stand im Jahr 1998 die Verlegung des Bildungsbereichs in die Stadt Bern. Allmählich änderte sich die Gästestruktur, die Erwartungen an Komfort und Qualität der Hotellerie stiegen. Auch wenn weiterhin viele kirchliche Veranstaltungen hier stattfanden und der kirchliche Bezug nie verleugnet wurde, so trat doch die typisch kirchliche Atmosphäre in den Hintergrund. Die Reformierte Heimstätte Gwatt wandelte sich zum (defizitären) Tagungshotel Gwatt-Zentrum. Ohne Finanzspritzen konnte die Genossenschaft nicht mehr überleben. Mit den Investitionen hatte sich die Genossenschaft "überlüpft",  der Schuldendienst und die hohen Unterhaltskosten belasteten die Rechnung über Gebühr. Nur mit immer neuen Darlehen der Landeskirche konnte die Genossenschaft den Konkurs abwenden. 1995 musste sie schliesslich die ganze Liegenschaft an die Reformierte Landeskirche des Kt. Bern verkaufen. Der Verkaufserlös wurde so festgelegt, dass die Genossenschaft ihre Schulden und die Genossenschaftsanteile der Kirchgemeinden zurückzahlen konnte.

Synode und Synodalrat überlegten sich verschiedene Möglichkeiten, das Gwatt-Zentrum, wie die Heimstätte nun hiess, finanziell  und baulich zu sanieren. Die Idee eines Hotelneubaus wurde wieder fallen gelassen. 1997 wurde zu möglichen Zukunftsszenarien eine ausserordentliche Synode durchgeführt. 1998 bewilligte die Synode für ein neues Gwatt-Projekt 5 Mio Franken, woraus bauliche Investitionen und auch die Projektleitung für den Aufbau des "Kompetenzzentrums Arbeit" zu finanzieren waren.  In dieser Zeit schrieb der Hotelbetrieb nach wie vor Verluste, die von der Kirche ausgeglichen wurden.

Im Jahre 1999 folgte ein Tiefschlag: Das Hochwasser am Thunersee legte das Zentrum im Frühsommer für mehrere Wochen lahm und beeinträchtigte den Betrieb während längerer Zeit. Auch wenn die unmittelbaren Schäden versichert waren, so traf dieses Naturereignis das Zentrum in einem denkbar ungünstigen Moment.

Die "Rösslimatte" im Gwatt steht grossflächig unter Wasser (Bild Werner Straubhaar, aus dem Buch: Das Hochwasser 99 am unteren Thunersee, Verlag: Weber AG, Gwatt Thun).

Der Verkaufsentscheid

In der Sommersynode 2001 wurde eine radikale Kehrtwende vollzogen und auf weitere Rettungsversuche verzichtet. Mit überwältigendem Mehr beschloss das Kirchenparlament ohne Wenn und Aber: "Die Kirche trennt sich vom Gwatt".  Dieser Grundsatz wurde in 9 Punkten präzisiert. Unter anderem wurde klar gestellt, dass damit "Grundstück, Gebäulichkeiten, sowie Hotel- und Restaurationsbetrieb" gemeint sind. Auch sollte  die Veräusserung zu "bestmöglichen Konditionen" stattfinden. Priorisiert wurde eine Veräusserung "en bloc", doch wurde der Synodalrat auch ermächtigt, "im Extremfall" den gesamten Betrieb vor der Veräusserung der Liegenschaft zu liquidieren. Die Synode bewilligte immerhin, den Betrieb bis zum Verkauf weiterzuführen und die Fernheizung zu sanieren. Die Synode ermächtigte den Synodalrat, diese Beschlüsse umzusetzen und die Synode erst nach Vertragsschluss wieder zu orientieren.

Siehe: Auszug aus dem Protokoll der Sommersynode 2001, Wortlaut der Beschlüsse

Von der Konfrontation zur Kooperation

Der Synodalrat beauftragte zuerst die Gwatt Immobilien AG mit dem Verkauf; diese war bisher lediglich für den baulichen Unterhalt der Liegenschaft zuständig. Gleichzeitig sollte die Gwatt-Zentrum AG den Hotel- und Tagungsbetrieb bis zum Verkauf weiter führen. Beide Aktiengesellschaften waren vollständig im Besitz der Landeskirche.

Angesichts dieser Konstellation ist es nicht verwunderlich, dass zwischen den beiden Gesellschaften bald einmal Konflikte auftraten. Für die eine Gesellschaft stand auftragsgemäss der baldige und möglichst einträgliche Verkauf im Vordergrund; für sie war die Aufrechterhaltung des Betriebs zweitrangig, hatte doch die Synode signalisiert, dass man sogar die Liquidierung des Hotelbetriebs in Kauf nehmen könnte. Die andere Gesellschaft hingegen hatte in dieser Zeit damit begonnen, den Betrieb zu optimieren und das Gwatt-Zentrum als eines der führenden Tagungshotels der Schweiz zu positionieren. Mit Können und persönlichem Engagement wurde erreicht, dass erstmals seit vielen Jahren wieder ein positiver Cash Flow[3] ausgewiesen wurde. Damit erhielt bei verschiedenen Exponenten[4] auch die Idee neuen Auftrieb, das Gwatt als kirchliches Zentrum zu erhalten und den Verkaufsauftrag zu widerrufen.

Der Konflikt eskalierte, als bei der Suche nach Investoren im Internet eine Planskizze auftauchte, auf welcher eine Überbauung des Areals mit Wohnhäusern eingezeichnet war. Die Auseinandersetzung wurde in die Öffentlichkeit getragen, in den Lokalzeitungen wurde das Thema mehrmals aufgenommen. Zumindest in der Region Thun-Oberland bestand für die Kirche die Gefahr eines Imageschadens. Deshalb beschloss der Synodalrat eine neue Projektorganisation, in welcher beide Tochtergesellschaften vertreten waren und welche vom Synodalratspräsidenten persönlich geleitet wurde. In einem Gesamtprojektausschuss konnten die unterschiedlichen Sichtweisen kontrovers diskutiert werden, was sich auf die Lösungssuche positiv auswirkte. Indem der Zeit- und Erfolgsdruck auf beiden Seiten bewusst reduziert wurde, konnte eine Kooperation über bestehende Gegensätze hinweg erreicht werden. Dass sich die Präsidenten beider Verwaltungsräte[5] stets loyal verhielten, war nicht selbstverständlich und verdient in der Rückschau höchsten Respekt.

Öffentlicher Zugang zum Thunersee

Seit Jahrzehnten diente das Gwatt-Areal der Bevölkerung als Naherholungsgebiet, ohne dass dieser Zugang rechtlich gesichert war. Theoretisch wäre es möglich gewesen, die öffentliche Zugänglichkeit zum Thunersee auf einen schmalen Uferweg zu beschränken und das übrige Areal einzuzäunen. Dass dies in der Bevölkerung nicht verstanden worden wäre und dass die Kirche dadurch einen Imageverlust erlitten hätte, ist offensichtlich. Weil das ganze Areal in einer Zone für öffentliche Nutzungen mit dem einzigen Nutzungszweck "Betrieb einer Reformierten Heimstätte" lag, musste vor dem Verkauf eine Änderung der Zonenplanung (Uferschutzplan) angestrebt werden. Dazu bedurfte es einer Volksabstimmung, und diese konnte nur gewonnen werden, indem man den Bedürfnissen der Öffentlichkeit wie auch den Interessen von Naturschutz und Uferschutz Rechnung trug. In der öffentlichen Mitwirkung konnte sich die Bevölkerung einbringen; soweit möglich, wurden den berechtigten Anliegen im anschliessenden Planungsverfahren Rechnung getragen. Bewusst wurde auf Maximalstandpunkte verzichtet und die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche betont. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass die Umzonung in der Volksabstimmung der Gemeinde Spiez vom 5. Juni 2005 mit einem Ja-Stimmenanteil von 82 Prozent angenommen wurde.

Gemäss der neuen Zone mit Planungspflicht ZPP ist der Ostteil des Areals (heutige Zelthäuser und Gwattstern) touristischen Nutzungen vorbehalten. Der Westteil hingegen wird für touristische oder andere Überbauungen freigegeben. Hier können nebst touristischen Einrichtungen auch Wohnungen oder Gewerbebauten (Altersheim o.ä.) errichtet werden. Das Mass der Nutzung und das Gebäudevolumen sind jedoch stark limitiert. Weiter ist eine Freifläche für die öffentliche Nutzung ausgeschieden (Bereich der Schiffsländte samt Zugangsweg), und die den Gebäuden vorgelagerte Uferschutzzone soll in beschränktem Umfang der Öffentlichkeit zur Mitbenützung offen stehen. Dazu wurde mit der Gemeinde Spiez eine Benützungsordnung vereinbart, welche den beidseitigen Interessen Rechnung trägt.

Überbauungsplan bestehender Zustand.
Überbauungsplan neuer Zustand.

Gute Konditionen, guter Zustand, gute Hände

Der Synodalrat definierte seine Verkaufsphilosophie bewusst als Zieldreieck: Das Gwatt sollte nicht nur zu guten Konditionen, sondern auch in gutem Zustand und in gute Hände verkauft werden. Dass es bei der Trennung vom Gwatt nicht darum gehen konnte, möglichst viel Gewinn zu machen, sondern dass die Kirche als Verkäuferin eine besondere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen wollte, wurde immer wieder betont. Der Trennungsbeschluss der Synode wurde dadurch nicht in Frage gestellt.

Zieldreieck gute Hände – gute Konditionen – guter Zustand.

Tagungshotel und Restaurant in gutem Zustand

Die Liquidation des Tagungszentrums kam für den Synodalrat nur als allerletzte Option in Frage, da im Tagungszentrum rund 100 Personen Arbeit fanden und es sich um einen der grössten Hotelbetriebe am Thunersee handelte. Bei einer Stilllegung wäre ein volkswirtschaftlicher Schaden für die Region entstanden, die Verkäuferin musste sich deshalb ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung als Landeskirche bewusst sein.

Die Weiterführung des Betriebs war jedoch nur möglich, wenn die fälligen Unterhalts- und Erneuerungsarbeiten nicht länger aufgeschoben wurden. Dringend war die Erneuerung der Fernwärmeversorgung, die von der Synode explizit bewilligt wurde. Aber auch die von der Gebäudeversicherung geforderten Vorsorgemassnahmen (Blitzschutz, Hochwasserschutz) duldeten keinen Aufschub, weil das Zentrum sonst behördlich geschlossen worden wäre. Die guten Jahresabschlüsse des Betriebs wurden dazu verwendet, um weitergehende Auffrischungs- und Unterhaltsarbeiten zu finanzieren. Von besonderem Nutzen war der Anbau eines Wintergartens an den Gwatt-Stern, welcher eine bessere Trennung der verschiedenen Gästesegmente ermöglichte. Weitere Beispiele für gelungene Investitionen sind die Auffrischung des Speisesaals und der Küche, die bessere Beleuchtung der Seminarräume, des Restaurants und der Aussenbereiche, die Sanierung der Nasszellen im Landhaus und gewisse Innenrenovationen im Waldhaus. 

Diese Investitionen gingen über den Unterhalt im engsten Sinne hinaus. Der Synodalrat liess sich von der Einsicht leiten, dass ohne diese Erneuerungen der Hotelbetrieb sehr rasch "verstauben" würde. Die Folge wären neue Defizite gewesen. Angesichts der langen Dauer des Verkaufsprozesses zahlte es sich aus, das Gwatt "in gutem Zustand" zu erhalten; schliesslich schlug sich dies auch im Erlös aus dem Verkauf nieder, weil die Gwatt Zentrum AG dank selbst erarbeitetem Liquiditätsüberschuss kein "Nonvaleur" war[6].

Trotz der erfreulichen Entwicklung des Betriebs war klar: Mit den Betriebsergebnissen konnten zwar der Unterhalt und die Auffrischungsinvestitionen, nicht jedoch die nötigen Erweiterungen und Gesamterneuerungen finanziert werden. Fachleute betonten, dass ein Hotelneubau für mehrere Mio Franken unerlässlich wäre, um den Betrieb auf dem derzeitigen Niveau zu halten. Ohne Finanzspritze von aussen waren diese Investitionen nicht denkbar. Die Investitionen und das Führen eines Hotelbetriebs  gehörten nicht zu den Kernaufgaben einer Kirche. Trotz der geschichtlichen Verbundenheit und trotz immer noch vorhandener emotionaler Bindung musste deshalb auf ein weiter gehendes Engagement der Kirche verzichtet werden.

Gute Hände

Allen Interpretationen des Begriffs "Verkauf in guten Hände" zu entsprechen, war unmöglich. Ein kirchlich engagierter, ethisch motivierter, wohltätiger, finanzkräftiger, an der Weiterführung des Betriebs interessierter, investitionsfreudiger und sich gleichzeitig für den Erhalt der bestehenden Situation einsetzender Investor war nicht zu finden. Ein solcher Käufer würde der "eierlegenden Wollmilchsau" entsprechen.

Der Synodalrat definierte deshalb am 4.3.2004 sein Verständnis der "guten Hände". Er betonte, dass diese Kriterien die Suche nach Käufern nicht  verunmöglichen dürften. Verschiedene Kriterien bezeichnete er als zwingend, andere als erwünscht.

Die Suche nach Investoren, welche diese Kriterien erfüllten, erwies sich als schwierig.  In einer ersten Phase suchte eine von der Gwatt Immobilien AG beauftragte Firma Interessenten, wobei der Fokus noch auf dem Wohnungsbau lag[7]. Konkrete Verhandlungen konnten erst geführt werden, als die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Überbauung geschaffen waren. In der zweiten Phase wurde zur professionellen Suche von Investoren und zur Begleitung des ganzen Verkaufsgeschäfts die Firma von Graffenried AG Bern beigezogen. 

Investoren, welche offensichtlich nur am spekulativen Wohnungsbau, nicht jedoch an der Weiterführung der touristischen Nutzung interessiert waren, schieden von vorneherein aus. Klar war, dass der Synodalrat auf Angebote von Sekten und ähnlichen religiösen Gruppierungen mit anderer Ausrichtung nicht eintreten konnte. Den meisten Interessenten fehlte es nicht an guten Ideen und idealistischen Zielsetzungen, wohl aber an einem glaubwürdigen Finanzierungsnachweis. Der Synodalrat lehnte es auch ab, sich an einer neuen Trägerschaft oder Stiftung zu beteiligen; dieses Vorgehen hätte keine endgültige Trennung vom Gwatt ermöglicht, sondern die Landeskirche wäre implizit weiter mit den dortigen Aktivitäten identifiziert worden und im Falle eines Scheiterns wäre von ihr erneut ein Rettungsschirm erwartet worden.

Aus ethischen Gründen abgelehnt wurde ein Angebot, welches ausländisches Geld über verschlungene Wege in die Schweiz verschieben und hier investieren wollte. Schwieriger war der Entscheid bei seriösen und an sich finanzkräftigen Interessenten, welche kein eigenes Konzept vorlegten, sondern ein solches gemeinsam mit der Kirche entwickeln wollten. Hier musste der Synodalrat festhalten, dass ihm die nötigen personellen und finanziellen Ressourcen fehlten, um sich selber auf einen mehrjährigen Projektierungsprozess mit ungewissem Ausgang einzulassen.

Wie komplex die Investorensuche war, zeigte sich im Jahr 2006, als der Synodalrat in konkrete Verkaufsverhandlungen mit einer durchaus seriösen Investorengruppe trat, welche ein innovatives Konzept für Wohnen (im Alter) mit Zusatzdienstleistungen verwirklichen wollte. In der Verhandlungsphase zog sich der Hauptinvestor überraschend zurück. Ein eilig vorgestellter Ersatzinvestor stellte Bedingungen und äusserte Vorstellungen über die Abwicklung des Geschäfts, auf welche der Synodalrat nicht eingehen konnte. Schliesslich beschloss der Synodalrat, die Verhandlungen definitiv abzubrechen und mit einer geänderten Philosophie einen neuen Anlauf zu unternehmen. Infolge neuer rechtlicher Gegebenheiten[8] konnte nicht mehr darauf beharrt werden, das Gwatt-Areal als Ganzes zu verkaufen (vgl. nachfolgend das Kapitel Wermutstropfen: Bauherren-Altlast).

Der Verkauf im Frühjahr 2008

Im Frühjahr 2008 war es dann so weit: Mit der zur Hauenstein-Gruppe gehörenden Rehabilitations-/Gesundheitszentrum Hauenstein Schönberg Gunten AG konnte ein Vertragswerk unterzeichnet werden, welches den sofortigen Verkauf des heute bereits überbauten Teils bis zum See und die Errichtung eines Kaufsrechts für das südlich angrenzende Terrain vorsieht.

Dass das Gwatt schliesslich an eine Firmengruppe ohne ideellen Hintergrund verkauft wurde,  mag als Mangel erscheinen. Indessen konnte mit der Hauenstein-Gruppe eine Investorin gefunden werden, der etwas vom touristischen Geschäft versteht. Sie betreibt nämlich rund um den Thunersee mehrere erfolgreiche Hotelbetriebe, sowie das von den Krankenkassen anerkannte Rehabilitationszentrum Schönberg/Gunten. Die Zusammenführung des Gwatt-Zentrums mit dem Schönberg eröffnete neue Perspektiven, umso mehr als der damalige Direktor des Rehabilitationszentrums auch Mitinitiant eines touristischen Projekts zur Gesundheitsprävention und Gesundheitsförderung im ganze Berner Oberland[9] war. Das von Hauenstein vorgelegte Nutzungskonzept sieht vor, das Gwatt-Zentrum schwergewichtig in diesem Sektor zu positionieren.

Die Selbstfinanzierung der Hauenstein-Unternehmungen stand ausser Frage, so dass nicht nur der Kauf der Liegenschaft, sondern auch die in den nächsten Jahren nötigen Investitionen für die Weiterentwicklung des Zentrums gesichert waren. Der Verkauf im Frühjahr 2008 erfüllte somit die meisten, wenn auch nicht alle Kriterien, die sich der Synodalrat selber gesetzt hatte. An der Sommersynode 2009 legte der Synodalrat Rechenschaft ab und orientierte die Synode über die Abwicklung des Auftrags.

Siehe: Fazit aus dem Schlussbericht an die Sommersynode 2009, Traktandum 7)

Wermutstropfen: Bauherren-Altlast

Bis in die Mitte des 20.Jahrhunderts wurde im Bereich des heutigen Parkplatzes und des von einem Bauern bewirtschafteten Landes Hauskehricht abgelagert. Zwar haben mehrere Untersuchungen ergeben, dass von dieser Deponie keine unmittelbare Gefahr ausgeht, weshalb eine sofortige Sanierung bisher nicht vorgeschrieben war. Hingegen war und ist unbestritten, dass bei einer Überbauung der Aushub nicht zur Umgebungsgestaltung verwendet werden darf, sondern in eine Kehrichtdeponie abgeführt und dort entsorgt werden muss. Tatsächlich erwies sich diese Belastung des Grundstücks in allen Verkaufsgesprächen als Piece de Résistence. Die Absicht des Synodalrats, das Gwatt als Ganzes zu verkaufen, musste schliesslich mit Rücksicht auf neue rechtliche Vorschriften aufgegeben werden. Belastete Standorte, welche im Falle einer Überbauung zu sanieren sind,  werden als "Bauherren-Altlast" bezeichnet. Die Revision des Umweltschutzgesetzes 2005 sieht vor, dass der eigentliche Verursacher in der Regel zwei Drittel der entstehenden Zusatzkosten für die Entsorgung zu tragen hat, jedoch nur soweit die Entfernung überhaupt nötig ist.

Damit behördlich festgelegt werden kann, welche Teile des Grundstücks zu sanieren sind, braucht es ein konkretes Bauprojekt. Ein solches konnte naturgemäss vor dem Verkauf noch nicht vorliegen. Die Erledigung der Bauherren-Altlast musste deshalb offen bleiben. Dieser Teil des Grundstücks wurde noch nicht verkauft, sondern es wurde dafür ein Kaufsrecht errichtet.

Zusammenfassende Würdigung

Eine vorläufige Würdigung des Verkaufsgeschäfts zeigt, ...

  • dass die öffentliche Zugänglichkeit zum Thunersee über das gesetzlich vorgeschriebene Minimum hinaus sichergestellt wurde,
  • dass mit planerischen Mitteln die Weiterexistenz eines Tourismusbetriebs auf im Ostteil des Areals festgeschrieben wurde,
  • dass der Betrieb in gutem Zustand übergeben wurde,
  • dass ein Schweizer Investor gefunden wurde, der die Arbeitsplätze erhalten will und auch die nötige Finanzkraft für Investitionen in die Zukunft hat,
  • dass der Abfluss von kirchlichen Mitteln ins Gwatt gestoppt wurde und dass mit dem Verkaufserlös die nötigen Bilanzbereinigungen und Rückstellungen finanziert werden konnten,
  • dass das Geschäft noch nicht vollständig abgewickelt ist und dass die Problematik der "Bauherren-Altlast" noch unerledigt ist.

Anton Genna

 


[1] Lisel Moser: "Rufen - nicht fürchten", Blaukreuz-Verlag Bern, 1964, Nachdruck Jubiläumsauflage 2005

[2] "50 Jahre Gwatt, 1930 - 1980; Schrift zum fünfzigjährigen Bestehen der Reformierten Heimstätte Gwatt"

[3] Vereinfacht ausgedrückt: die Einnahmen waren höher als die Ausgaben, vor allfälligen Abschreibungen auf Investitionen.

[4] Beispielsweise regte der Synodale Erich Marti im Jahr 2005 an, dass eine neue Trägerschaft mit einer Minderheitsbeteiligung der Kirche gebildet würde.

[5] Walter Schläppi, VRP Gwatt Immoblien AG, und Thomas Bruppacher, VRP Gwatt-Zentrum AG

[6] Effektiv wies der Betrieb zum Zeitpunkt des Verkaufs einen Liquiditätsüberschuss aus, der von der Käuferschaft abgegolten wurde. Eine Stilllegung des Betriebs, wie sie von der Synode 2001 erwogen und wofür ein vorsorglicher Kredit von 2 Mio Franken bewilligt worden war, stand deshalb nicht mehr zur Diskussion.

[7] vgl. oben im Kapitel "Von der Konfrontation zur Kooperation"

[8] Revision des Umweltschutzgesetzes vom 16.12.2005, i.K. 1.11.2006

[9] GesundheitsOase BeO, www.geobeo.ch