Portrait Hans Ryser, Oberburg

Aufbruch und Beständigkeit

Ich verstehe Leute, die Gott nicht begreifen und mit ihm hadern, nicht zuletzt wegen meinem eigenen Erleben als Vater, Mensch und Pfarrer. Wenn eine Mutter ihr Kindchen tot gebiert und die Frau in ihrer Trauer und ihrem Schmerz Gott nicht mehr versteht und nichts mehr mit ihm zu tun haben will, dann kann ich die ablehnende Haltung nachvollziehen. Menschen, die gar nichts mit Gott zu tun haben wollen, schuldigen ihn auch nicht an. Menschen, die schimpfen, zornig sind und Gott anklagen, die suchen Antworten. Wenn wir unserem Nichtverstehen einen Ausdruck geben können, dann gibt es einen Weg, dann können wir Schmerz verarbeiten. Nicht selten erlebe ich, dass nach einem Gefühlsausbruch, in dem Gott abgelehnt wird, tiefgreifende Gespräche entstehen.

Mein eigenes Fragen nach Gott, seit der Jugend und mein eigenes Hadern mit Gott - "Was hat Gott sich eigentlich gedacht?! Warum ist unser Kind erkrankt und nun behindert?" - führte mich zum Theologiestudium. Dies nachdem ich mehr als 13 Jahre als Lehrer unterrichtet hatte. Den Entscheid habe ich nie bereut, aber das Studium beanspruchte mich zeitlich und psychisch stark und war für meine Familie und mich eine grosse finanzielle Belastung. Meine Frau trug den Entscheid mit. Sie spürte, dass das mein Weg ist. Ohne ihre Unterstützung wäre es nicht gegangen!

Ich denke, ich habe in meinem Studium, dank der intensiven Auseinandersetzung mit meinem Glauben, einen möglichen Zugang gefunden, zu dem was uns als Familie widerfahren ist. Unser Sohn brachte uns viel Gutes ins Leben. Ich habe den Eindruck, dass er dem Geistigen näher ist als ich. Er ist hellhörig und ausgeprägt feinfühlig. Durch seinen Autismus lernten wir neue Leute kennen, setzten uns mit Leben, Krankheit und Gesundheit auseinander und haben letztendlich, statt dem anfänglichen Gefühl des Verlierens, mehr gefunden, als ich mir früher hätte vorstellen können. Das zeigte mir: Die Spuren Gottes und seine Kraft sind da, auch wenn man sie nicht immer unmittelbar bemerkt.

Oberburg ist mein Daheim geworden. Ich bin vertraut mit den Menschen; nicht zuletzt wurde ich auch durch die Kirchgänger beheimatet. Obwohl: Ich hätte nicht gedacht in meiner ersten Stelle zu bleiben. Aber die Kinder durchliefen die Schulen im Dorf und in Burgdorf, und mir gefiel es hier im Amt. Jetzt mit 60 fange ich nicht woanders neu an. Veränderungen suche ich vor Ort in meiner Arbeit als Pfarrer.

Menschen ziehen weg und neue kommen. Kirchenaustritte tun mir weh, wenn ich die Leute kenne. Nicht selten nutzen Menschen, die neu hierhin ziehen, die Gelegenheit, um aus der Kirche auszutreten. Die Gemeinde ist in den letzten Jahren geschrumpft von  2'300  auf knapp 2'000 Personen. Viele der Neuzuzüger gehören eben einer anderen Konfession oder Religion an oder sind konfessionslos.

Mein Pensum habe ich auf 80% reduziert, meine Pfarrkollegin arbeitet zu 60%. Hauptsächlich mache ich - neben Gottesdiensten - Seelsorge, Diakonie, Seniorenarbeit und Projekte im Bereich Erwachsenenbildung, die bei uns vom Forum für Lebensfragen der Kirchgemeinde angeboten werden.

Bei uns in der Kirchgemeinde Oberburg arbeiten wir mit Kommissionen. Hier engagieren sich viele Oberburgerinnen und Oberburger freiwillig. Vieles läuft gut in unserer Kirchgemeinde. So erlebe ich zum Beispiel die Seniorenarbeit, in der ich mitarbeite, als sehr vielfältig. Sie ist mir ans Herz gewachsen. Ich mag die Seniorinnen und Senioren gern, und sie bilden mit uns - dem Seniorenteam - eine "gmögige" Crew.

Im Forum suchen wir immer wieder Wege zu Glaube und Spiritualität. So biete ich mit einer katholischen Katechetin seit einiger Zeit Bibelarbeit an, in der wir uns den biblischen Texten mit Formen des Bibliodramas nähern. Auf diese Weise kann jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer den eigenen Weg zur biblischen Botschaft finden.

2010 / 2011 durfte ich meinen halbjährigen Studienurlaub beziehen. In dieser Auszeit habe ich mich intensiv mit Spiritualität auseinandergesetzt. Das hat mir neue Kraft und Kreativität gegeben. Rückblickend würde ich mir diesen Urlaub früher gönnen. Die Zeit nutzte ich auch zum Aufspüren neuer Gottesdienstformen. Den klassischen Gottesdienst finde ich aber nach wie vor sehr wertvoll. Es braucht ihn. Trotzdem begeistern mich neue Feiern, weil sie möglicherweise eher kirchenferne Menschen ansprechen! Besonders gut gefällt mir die Thomasmesse. Sie stammt aus Finnland und umfasst drei Teile: Eine kurze Inputpredigt, danach suchen die Gottesdienstteilnehmerinnen und – teilnehmer verschiedene Stationen in der Kirche auf, wo sie weitere Inspirationen zum Thema finden. Am Schluss folgen ein Gebet und die Segenserteilung. Statt "Thomasmesse" nennen wir sie bei uns "Thomasfyr". Ich hoffe, dass sich in unserer Gemeinde genügend interessierte Menschen finden lassen, die bereit sind, als Gestaltende in solchen Feiern mitzuwirken. Es wäre schön, wenn wir die Thomasfyr in unserer Kirchgemeinde verwirklichen könnten.

Ich mache mir viele Gedanken darüber, ob die Kirche in der Gesellschaft am richtigen Ort ist. Wo ist der richtige Ort? Bei Taufgesprächen hörte ich hin und wieder: "Wir kämen in die Kirche, wenn mehr laufen würde". Es folgten weitere Kindlein und weitere Taufen; nach der dritten fragte ich: "Warum habe ich die Familie nicht beim Konzert, beim Familiengottesdienst, in der Osternacht, etc. gesehen?" Die Antwort lautete: "Wir haben keine Zeit". Wir leben eben in einer aufgesplitterten Gesellschaft. Die Menschen suchen zwar nach spiritueller Anregung, aber sie sind überladen von Verpflichtungen, überschwemmt von Eindrücken und manchmal auch gefordert durch die vielfältigen Angebote an spirituellen Möglichkeiten.

Während meiner letzten Amtsjahre will ich meine Kräfte im Auge behalten. Ich will zu meiner Seele Sorge tragen, möchte aber auch, dass unsere Kirchgemeinde lebendig und offen für Neues bleibt. Und meine Frau und ich bereiten uns gedanklich auf die Pensionierung vor: Wir planen die neue Lebens- und Paarzeit.

Barbara Richiger

Pfarrer Hans Ryser.
Hans Rysers Wirkungsort: Die Kirche in Oberburg.