Vom Hauswart zum Generalmanager

Seit über acht Jahren arbeitet Daniel Strahm als Sigrist in der Markuskirchgemeinde im Berner Nord-Quartier. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich sein Arbeitsalltag stark verändert und die an ihn gestellten Erwartungen sind vielfältiger geworden. Der Sigrist von heute ist Organisationstalent, Reinigungsfachmann, Handwerker, Sicherheitsverantwortlicher, Eventmanager und Seelsorger in einer Person.  

"Da werde ich kribblig, wenn man mit dem roten Lumpen durch die Gänge rennt", erklärt Daniel Strahm seinem Praktikanten. Vor der Erteilung der Aufträge verdeutlicht der Sigrist seinem neuen Mitarbeiter nochmals die wichtigsten Grundregeln des Reinigungsbereichs. So werden die roten Putzlappen eben ausschliesslich für die Toiletten benutzt, die Gelben für die Waschbecken und die Blauen für die Oberflächen. Gleichzeitig prüft Strahm das Grundwissen seines neuen Mitarbeiters bezüglich ph-Werten und ökologischen Vorschriften. Er müsse jeweils erst den Wissensstand abchecken, um dann mit dem Auszubildenden gezielt auf die Prüfungsvorbereitung hinarbeiten zu können, stellt Strahm fest. Nicht zum ersten Mal begleitet er einen Lernenden in der praktischen Ausbildung zum Fachmann Betriebsunterhalt. Heute bekommt Praktikant Martin Blaser den Auftrag, die Toiletten gründlich zu reinigen – wofür der rote Lappen dann also doch zum Einsatz kommen soll.

Die Instruktion der Mitarbeitenden gehört zu den ersten Aufgaben des Tages. An diesem Morgen ist auch der frühere Lehrling da und hilft aus. Er wird das Reduit des grossen Saales ausräumen, putzen und die Wände neu streichen. "Wenn das Altersturnen oder die Yoga-Gruppe hier hinten ein paar Dinge verstauen wollen, dann sollte es einigermassen anständig aussehen", erklärt Daniel Strahm. Dass die Wände selber gestrichen und keine Maler beauftragt werden, ist für den 43jährigen selbstverständlich: "Mit Eigenleistungen wird Geld gespart."

Marketing und Eventmanagement

Daniel Strahm betont mehrfach den wirtschaftlichen Aspekt seiner Arbeit. Infolge der Entwicklungen der letzten Jahre müsse die Kirchgemeinde mehr Gelder generieren, wofür die Vermietung von Räumlichkeiten ein geeignetes Mittel sei. Kein Zufall also, dass im Eingangsbereich der Markuskirche auf den Salon-Tischchen Kärtchen zu lesen sind mit der Aufschrift: "Ihr Anlass – vielleicht bei uns in der Kirche?" Er sei halt in gewisser Weise auch "Event-Manager" und fühle sich für die Vermarktung der Räume mitverantwortlich. Mit dem neuen Raumreservationssystem funktioniere das ganz gut, findet Strahm, allerdings komme zum zusätzlichen administrativen Aufwand auch die  Beratung und Betreuung der Mieter hinzu: Für ein Theater der Schule müssen beispielsweise Licht-, Musikanlage  und Mischpult eingerichtet und erklärt werden. Und wenn niemand anderes da ist, springt der Sigrist auch mal selbst als Tontechniker ein.

Es wird an diesem Morgen schnell deutlich, dass Daniel Strahm mit einem weitsichtigen Blick und immer zum Wohle seiner Kirchgemeinde seinen Job verrichtet. Nebst Reinigungs- und Unterhaltsarbeiten für Kirchgemeindehaus, Kirche und Umgebung sowie dem Arbeitsfeld des Eventmanagements gehören auch die Materialbestellungen – vom WC-Papier über den neuen Beamer bis zum Sonntagsapéro – und viele weitere administrative und organisatorische Aufgaben zu seinem Berufsalltag. Dabei wird der Hauswart von seiner Frau Franziska in allen Belangen unterstützt. "Ohne diese Mitarbeit wäre die Arbeitsmenge nicht zu bewältigen", meint Daniel Strahm und ist froh über ihre 15%-Anstellung. Er begrüsst es auch, dass die Kirchgemeinde vor ein paar Jahren ein Pflichtenheft für das Amt des Sigrists ausgearbeitet hat. Es helfe einem, sich nicht in Details zu verlieren und sich gegenüber Mitarbeitenden zwischendurch auch einmal abgrenzen zu können.

Erfahrungen aus Spital und Zirkus

Für das Amt als Sigrist ist eine Kirchgemeinde also auf ein Multitalent angewiesen. Es ist das Glück der Kirchgemeinde Markus, dass sie mit Daniel Strahm und seiner Frau Franziska über ein Sigristenpaar verfügt, welches die geforderten Fähigkeiten schon bei ganz unterschiedlichen Arbeitgebern erprobt hat: Sie war als Kaufmännische Angestellte in Büros und als Pflegefachfrau im Spital angestellt, er hat eine Schreinerlehre absolviert, ebenfalls im Spital und als Allrounder beim Stadttheater und im Zirkus gearbeitet. Anschliessend hat der Familienvater die Handelsschule abgeschlossen, sich danach zum eidg. dipl. Hauswart FA ausgebildet und den Lehrmeisterkurs absolviert.

Das Schöne an ihrem jetzigen Beruf sei die abwechslungsreiche Arbeit, meinen Franziska und Daniel Strahm. Auch die hohe Selbstkompetenz und die Begegnungen mit verschiedensten Menschen schätzt das Sigristenpaar: Einmal verhandle man mit einer Star-Geigerin über technische Fragen, ein andermal serviere man dem indischen Botschafter ein Apéro. Aber auch die vielen alltäglichen Begegnungen erachten die Beiden als wertvollen Aspekt ihres Arbeitslebens.

Das Gesicht der Kirche

Auch heute herrscht Betrieb im Kirchgemeindehaus: Eine junge Frau mit Kind sucht die Krabbelgruppe, Daniel Strahm gibt freundlich Auskunft. Nebenan plant die Sozialdiakonische Mitarbeiterin zusammen mit dem Präventionsbeauftragten der Kantonspolizei den Ablauf des nächsten Altersnachmittages. Das Thema ´Sicherheit im Alter´ soll thematisiert und über derzeit in der Region Bern aktive "Enkel-Trick-Betrüger" informiert werden. Daniel Strahm nimmt die Gelegenheit wahr, um mit dem Polizeibeamten ein paar ungelöste Schwierigkeiten anzusprechen: Vandalismus, Nachtruhestörung, Littering. Im Gespräch werden längerfristige Lösungen ins Visier genommen, die nächsten konkreten Schritte abgesprochen und nebenbei wird auch noch die Idee eines Anlasses zu Einbruchsprävention für die Quartierbevölkerung in den Räumen der Kirchgemeinde ins Auge gefasst.

Oftmals wird der Sigrist als "Gesicht der Kirche" bezeichnet. Er und seine Frau sind diejenigen, die zu 100% da sind, gerade wenn sie, wie das Ehepaar Strahm, im Kirchgemeindehaus in der Dienstwohnung leben.  So sind sie auch als Ansprechpartner gefragt, und oft wird erwartet, dass sie sich ein bisschen Zeit nehmen – sowohl für die Fragen der Besucherinnen wie auch für die Sorgen der Mitarbeiter. Ab und zu klingelt jemand, der Hilfe sucht, an ihrer Haustür. Strahms nehmen sich Zeit: "Chli  Zuelose" sei manchmal schon viel, und dann verweisen sie die Leute zum Pfarrer, zur Sozialdiakonie der Markuskirche oder zur Passantenhilfe.

Rauchmelder und geschimmelter Fruchtsalat

Die gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen zehn Jahre haben das Berufsbild des Sigristen massgeblich verändert. Weil beispielsweise die Anzahl der freiwilligen Helferinnen und Helfern in den Kirchgemeinden abnimmt, werden diese Dienste vermehrt von den Angestellten übernommen. Aber auch die technische  Entwicklung und die immer detaillierter werdenden Vorschriften führen zu einer Verschiebung der Arbeitsgebiete: Als Daniel und Franziska Strahm ihre Arbeit 2004 in Angriff nahmen, hatten sie weder ein Büro noch einen Computer zur Verfügung, alle Rechnungen wurden von Hand geschrieben. Bei all den heute erforderlichen Papieren wie Sicherheitskonzept, Hygienekonzept, Inventarlisten, Raumverwaltung und Arbeitsdokumentation wäre dies kaum mehr möglich. Auch bezüglich Unfallverhütung, Verwendung von ökologischen Reinigungsmitteln und Abfalltrennung gibt es immer wieder neue – meist sinnvolle – Vorschriften. Nicht zuletzt die reglementarischen Verordnungen bezüglich Feuerpolizei und Lebensmittelhygiene sind mit einem deutlichen Mehraufwand und grösserer Verantwortung verbunden: "Wenn ein Mitarbeiter den Fruchtsalat im Kühlschrank verschimmeln lässt und die Kontrolleure kommen oder jemand eine Lebensmittelvergiftung aufliest, dann werde ich persönlich mit meinem Namen dafür verantwortlich gemacht", erklärt der Sigrist.

Strahm sieht rot

Daniel Strahm macht sich auf einen Rundgang zu seinen Mitarbeitern. In den Toilettenräumen riecht es nach Zitrone, der Steinboden glänzt und die Toiletten sind sauber. Und wo ist der rote Putzlappen zu finden? – Er liegt im roten Eimer, da, wo er hingehört. Martin Blaser hat die Arbeit zur Zufriedenheit seines Vorgesetzten erfüllt. Auch im grossen Saal kommt die Arbeit gut voran: Das Reduit sieht aus wie neu und der Hauptraum kann jetzt für den bevorstehenden Tanznachmittag vorbereitet werden.

David Leutwyler

Portrait von Daniel Strahm, Sigrist.

Hinweis

Hintergrundinformationen zu diesem Thema finden Sie im Buch Datenerhebung.