Wie hat sich die Kirchenmusik in den Jahren 2001-2010 entwickelt?

Das Jahrzehnt war geprägt durch die kurz zuvor (1. Advent 1998) erfolgte Einführung des neuen Reformierten Gesangbuchs. Es schliesst an die Gesangstradition an, z.B. in der Beibehaltung vierstimmiger Sätze, erweitert sie jedoch inhaltlich und stilistisch um Lieder aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und formal um Kanons, Leitverse, Akklamationen und weitere nicht liedförmige Gesänge. Diese, ebenso wie die zur Wechsellesung abgedruckten Psalmen, haben dem Gottesdienst neue Impulse verschafft.

Das Kirchengesangbuch kann nicht alle Bedürfnisse abdecken. In der ökumenischen Sammlung "Rise up" wurde pünktlich zur Landesausstellung Expo 02 eine breitere Auswahl vor allem aus dem Bereich des "Neuen Geistlichen Liedes" bereitgestellt.

Die oft festgestellten Abbrüche traditioneller Kirchlichkeit – Gottesdienstteilnahme, Verknüpfung mit Familie und Schule – haben auch der Verankerung des Liedrepertoires zugesetzt, ohne dass das neuere Repertoire seinerseits Tradition bilden konnte. Das führt zu einer gewissen Orientierungslosigkeit, welche gerade in der Katechetik ein Hindernis für den Einbezug des Singens auf allen Stufen bildet. Die 2010 von der Liturgie- und Gesangbuchkonferenz empfohlene "Kernliederliste" gibt hier Gegensteuer, in dem sie mit 30 traditionellen Liedern (ergänzt um 12 neuere, 4 Kanons und 4 "selbstverständliche") eine Einstiegsplattform schaffen will.

Anders als die Zürcher und die St. Galler Kirche verfügt die Kirche Bern-Jura-Solothurn nicht über eine gesamtkirchliche Arbeitsstelle für Kirchenmusik; die in den 1990er Jahren gegründete Kirchenmusikkommission hatte nach der erfolgten Einführung des Gesangbuchs kaum noch konkrete Aufgaben und war in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts nicht mehr aktiv. Hingegen engagiert sich die Berner Kirche stark in der kirchenmusikalischen Ausbildung; in ihrem Auftrag führt die Hochschule der Künste Bern nach wie vor die Kurse für nebenberufliche Organistinnen und Organisten und Chorleitende durch. Einsteigerunterricht, Grund- und Fortbildungskurse, durchgeführt vom Bernischen Organistenverband, werden kontinuierlich mitfinanziert, und gegen Ende des Jahrzehnts konnte auch die Beteiligung der Kirche an den Orgel-Nachdiplomstudien für Pianistinnen und Pianisten gesichert werden. Verschiedene Gründe haben zu Problemen beim Organistennachwuchs geführt: Die Reform der Lehrerbildung, die schwächere kirchliche Sozialisation Jugendlicher, die Bologna-Reform. Mit der Diversifizierung des Angebots können unterschiedliche Interessentengruppen angesprochen und individuelle Ausbildungsbiographien berücksichtigt werden. Die Beteiligung an den Ausbildungsangeboten schwankt aber stark und ist vor allem im französischsprachigen Teil bedenklich zurückgegangen.

Diversifizierung ist auch in der Musik selber zu beobachten. Der Einbezug popularmusikalischer Elemente ist inzwischen fast selbstverständlich, wenn auch stabile Strukturen – Bands, besonders beauftragte Musikerinnen und Musiker – eher selten sind. Ein Problem liegt wohl darin, dass diese Musiksparte häufig eine gewisse Affinität zu evangelikalen oder freikirchlichen Strömungen zeigt, und das wird längst nicht überall goutiert. Immerhin aber werden Organistinnen und Organisten in den genannten Kursen dazu ausgebildet, neuere Lieder nach Akkordsymbolen einigermaßen angemessen zu begleiten.

Nicht zu vergessen ist schließlich vor allem in den ländlichen Gebieten der gottesdienstliche Einsatz traditioneller Volksmusik, vor allem Jodelchören und Alphornbläsern – ein Beitrag sowohl zur lokalen Verankerung des Gottesdienstes wie zur Diversifizierung seiner Gestaltungselemente, die allerdings als solche noch der liturgietheologischen Reflexion bedürfen wird.

Verschiedene Musikstile in der Kirchenmusik

Kirchenmusik wird häufig ausschliesslich mit alt-ehrwürdig-traditioneller sogenannt "klassischer" Orgelmusik in Verbindung gebracht. Dass das geniale, kirchenraum-füllende Instrument Orgel durchaus auch geeignet ist, mit einem elektronischen Mischpult in Dialog zu treten, wird in den Hip-Hop-Gottesdiensten in der Markuskirche in Bern deutlich: dazu braucht es auf beiden Seiten Menschen, die ohne Scheuklappen miteinander in Dialog treten. Die Organistin, die sich auf die Musiksparte "Hip-Hop" einlässt, ein junger Mann, der mit elektronischen Klängen auf die Orgelmusik antwortet. Das Hip-Hop-Center, in seinen Anfängen aus einer eher freikirchlich-evangelikalen Szene entstanden, hat sich seither bewusst landeskirchlich ausgerichtet und ist offen für Jugendliche des ganzen Quartiers, nicht zuletzt dank dem grossem Engagement seines Leitungsteams und der Begleitung durch die Fachstelle Jugend und des Ortspfarrers.

Andreas Marti, Susanna Meyer, Manuel Münch