Das Pfarramt im Wandel

Ein Leitstern für den Pfarrberuf

In der Wintersynode am 5. Dezember 2001 beschloss das Kirchenparlament die Aufnahme eines Artikel in die Kirchenordnung, welcher sich auf "Voraussetzungen, Fähigkeiten und Kompetenzen für die Ausübung des Pfarrberufes"[1] bezog und ein entsprechendes Leitbild forderte. Wie der Synodalrat im Jahr 2005 nach der Erfüllung des Auftrags im Vorwort festhielt, sollte dieses Leitbild als "Leitstern des Handelns"[2] dienen. Dass eine Kirche für ihre zentrale Berufsgruppe ein Leitbild erarbeitete, zeigt schon mit welchen tiefgreifenden Veränderungen die Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber von Pfarrstellen in den Berichtsjahren 2001 bis 2010 konfrontiert waren. In fünf kurzen Kapiteln soll versucht werden, die grossen Linien der Entwicklungen deutlich werden zu lassen. Entscheidende Punkte dieser Entwicklungen werden durch einzelne Aussagen von Pfarrpersonen verdeutlicht.

Das Pfarramt an der Schnittstelle zwischen äusseren und inneren Angele-genheiten der Kirche im Kanton Bern

Wie Hansruedi Spichiger, langjährig Beauftragter für kirchliche Angelegenheiten des Kantons Bern, bei seinem Abschied aus dem Beruf im Jahr 2012 betonte, hat sich im Grundsatz das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Kanton Bern in den davor liegenden Jahren als stabil erwiesen. Diese Aussage gilt somit für den gesamten Zeitabschnitt 2001 bis 2010. Nachdem noch in den 1990er Jahren Pfarrstellen eingerichtet wurden, musste der Kanton Bern um die Jahrtausendwende erste einschneiende Sparmassnahmen ergreifen. Insgesamt mussten im kirchlichen Bereich 7 Mio. Franken eingespart werden und bis 2006 wurden ungefähr 45 Pfarrstellen abgebaut. Im Hinblick auf die Ausgestaltung von Pfarrstellen und deren Reduktion bewährte sich die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat - gerade auch in den schwierigeren Zeiten dieser zehn Jahre - und im Grunde erhielt das Miteinander durch diese Entwicklungen neuen Schwung.

Die SAR, Strategische Aufgabenüberprüfung, die der Kanton vornahm und welche zur Reduktion der Pfarrstellen[3] führte, bezog sich besonders auf die Jahre 2002 bis 2006. Sie zeitigte grosse Folgen und Veränderungen. Gerade in diesen angespannten, schwierigen Verhandlungen legten sowohl Kirche als Staat auf eine einvernehmliche Partnerschaft grossen Wert. Die Haltung, welche die Kirchenleitung dabei einnahm, musste gegenüber Kirchgemeinden und einzelnen Pfarrpersonen immer wieder verteidigt werden. Doch durch das enge Miteinander von Staat und Kirche gelang es, den Kirchgemeinden eine stabile Versorgung mit Pfarrstellen zu garantieren.

Eine Form der Bewirtschaftung und Planung von Pfarrstellen war schon in den Jahren ab 1993 angegangen worden. Jetzt bedeuteten die Einsparungsanstrengungen für einzelne Pfarrstellen und Kirchgemeinden die Einrichtung von Teilzeitarbeitsstellen. Dieser Wechsel hatte grosse Folgen. Insbesondere der Ref.-Evang. Pfarrverein forderte, bei der Einführung von Teilzeitstellen, den Beschrieb einer vollen Anstellung, um so eine Teilanstellung definieren zu können.

Die Einführung von Stellenbeschrieben und damit verbunden eine zunehmende Verrechtlichung der grundlegenden Anstellungsbedingungen waren die Folgen. Die einzelnen Pfarrpersonen reagierten unterschiedlich auf die Einführung der Stellenbeschriebe, welche jedoch gerade vom Evang.-ref. Pfarrverein gefordert worden war. Einige Pfarrerinnen und Pfarrer sahen darin eine Chance, mit dem Kirchgemeinderat in ein Gespräch über die Ausgestaltung der einzelnen Pfarrstelle einzutreten. Sie erhofften sich mehr Sicherheit und die Möglichkeit besserer Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben. Anderen wiederum erschien ein Stellenbeschrieb, welcher auf Kennzahlen aufbaute, der Ausverkauf des Pfarramtes in seiner Würde und seiner Ausstrahlung. Dass hier ein Weg eingeschlagen wurde, welcher die Pfarrpersonen letztendlich zu Angestellten machen würde, wurde von vielen be- und gefürchtet. Auch zeigte es sich, dass für manche Pfarrperson die Wahl durch die Kirchgemeindeversammlung ein sehr wichtiges Rechtsgut darstellte, welches durch die Veränderungen im Beruf an Wert verlieren würde.

Mit einem Stellenbeschrieb für jede Pfarrstelle reagierten Staat und Kirche auch auf eine Forderung aus dem Studienbericht "Pfarramt in der Krise?". Dieser Studienbericht war 1999 nach einer Initiative von Herrn Regionalpfarrer R. Zimmermann im Auftrag des Synodalrates, des Beauftragten für kirchliche Angelegenheiten und der Evang.-Ref. Pfarrvereins abgegeben worden. Darin war ein "Stellenprofil für PfarrerInnen, das deren Rechte und Pflichten enthält,"[4] gefordert worden.

Doch mit dem einen Dokument "Stellenbeschrieb" gingen weitere wichtige Änderungen einher. Um der Notwendigkeit, über die Arbeitszeit in den Pfarrstellen Auskunft geben zu können, zu begegnen, führte der Kanton eine Abwesenheitskontrolle ein, welche eine Kompensation für an Sonn- und Feiertagen geleistete Arbeit vorsah. Auch diese jährlich zu erstellende Übersicht wurde von einem Teil der Pfarrschaft begrüsst, von anderen als Papiertiger abgetan. Erst der Gebrauch dieses Instruments über mehrere Jahre hinweg ergab eine breite Akzeptanz für diese Massnahme.

Alle beim Kanton Bern angestellten Personen werden in einem jährlichen Mitarbeitendengespräch auf ihre Leistungen und Entwicklungsmöglichkeiten angesprochen. Auch für Pfarrpersonen wurde dieses Instrument im Jahr 1998 schon eingeführt. Dabei musste aber auf ein jährliches "offizielles" Mitarbeitendengespräch verzichtet werden. Dies geschah aus Ressourcengründen. Alle drei Jahre wird seither, moderiert von der zuständigen Regionalpfarrperson, ein Mitarbeitendengespräch vom Kirchgemeinderat mit den Pfarrpersonen durchgeführt. Die langen Abstände dazwischen begründen vielleicht, warum in der Personalbefragung des Kantons Bern 2006 nur knapp eine positive Einschätzung der Mitarbeitendengespräche in der Pfarrschaft festgestellt werden konnte.

Festgehalten sei an dieser Stelle noch einmal, dass die enge Zusammenarbeit zwischen staatlichen und kirchlichen Stellen das grundlegende Kontinuum über all diese Jahre darstellt. Dies war keine Selbstverständlichkeit.

Die Veränderungen in der Universität Bern und ihre Auswirkungen auf die Ausbildung zur Pfarrerin und zum Pfarrer

Ein Brennpunkt, an dem sich das Miteinander der verschiedenen Stellen besonders auswirkte, war und ist die praktische Ausbildung für das Pfarramt.

Noch in den 90er Jahren war das Universitätsgesetz im Kanton Bern überarbeitet worden. Als Folge der rechtlichen Veränderungen wurden wesentliche Teile der praktischen Ausbildung für das Pfarramt (Vikariat) in neue Formen überführt. Im Jahr 2002 wurde vom Synodalrat die Verordnung über die Zulassung zum Lernvikariat, die praktikumsbezogene theologische Ausbildung im Lernvikariat und die Voraussetzungen zum Bestehen des Lernvikariats beschlossen. Sie regelt die Ausführungsbestimmungen für das Lernvikariat, welches in diesen Jahren grundlegend neu aufgegleist worden war.

Durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag war ebenfalls im Jahr 2002 die Zusammenarbeit von Staat, Kirche und Universität für die praktisch-theologische Ausbildung auf eine verlässliche Basis gestellt worden. Diese gesetzlichen Regelungen ermöglichten es, die Vikariatsausbildung der zukünftigen Pfarrpersonen in moderner Art durchzuführen.  

Als zentrales Steuerungsorgan wurde vom Synodalrat 2003 der Ausbildungsrat ins Leben gerufen, welcher die Lehrvikariatskommission ersetzte. In ihm sind der Kanton Bern, die reformierte Landeskirche und die Universität Bern vertreten. Mit der Einführung dieses Gremiums konnte nach etlichen Jahren der Kontakt zwischen Universität und Kirche neu gestaltet werden. Nach der Unterzeichnung des grundlegenden öffentlich-rechtlichen Vertrags war die Verantwortung beim Bereich Theologie unter der Leitung von Synodalrat Pfr. Dr. Andreas Zeller. Ausser dem Beauftragten für kirchliche Angelegenheiten des Kantons war insbesondere als Co-Präsident des Ausbildungsrates und Vertreter der Universität Herr Prof. Maurice Baumann beteiligt.

Aufbauend auf diesen stabilen rechtlichen Grundlagen wurde dann das Lernvikariat stark verändert. Zusätzlich zur Mitarbeit in den Kirchgemeinden wurden spezielle Studientage, Kurse und Praxisberatung eingeführt. Die Assessments, welche seither von der Universität Lausanne durchgeführt werden, entscheiden zwar nicht beim Bestehen der Abschlussprüfung, geben dennoch wichtige Hinweise auf die Befähigung der Kandidatinnen und Kandidaten. Die eingeführten Neuerungen in der Vikariatsausbildung zielen auf fünf Kompetenzbereiche, in denen beobachtbare Entwicklungen während der Ausbildungszeit festgehalten werden. Diese sind:

  • christliche Lebenskompetenz, Spiritualität
  • kommunikative Kompetenz
  • theologische Kompetenz
  • Leitungs- und Managementkompetenz
  • Berufliche Kompetenzen

Die Koordinationsstelle für die Praktikumbezogene Theologische Ausbildung KOPTA garantierte die Vernetzung und das gute Zusammenspiel aller am Vikariat beteiligten Personen, gemeinsam mit dem Ausbildungsrat. Mit alle diesen Neuerungen gewann der praktische Teil der Ausbildung (Praktisches Semester und Vikariat) in dieser Zeit deutlich erkennbar an Qualität, vertieften Reflektionsmöglichkeiten und Praxisorientierung.

Die Kirchlich-Theologische Schule KTS führte zwischen 2001 bis 2010 laufend Kurse durch und führte in diesen Jahren 34 Kandidatinnen und Kandidaten zu einem Maturitätsabschluss, welcher es ihnen erlaubte, das Theologiestudium zu beginnen.

Weiterbildung (pwb) als kompetente Begleiterin der Pfarrpersonen

"Die Weiterbildung ist thematisch und räumlich näher an die Pfarrerinnen und Pfarrer heranzurücken."[5] Dieser Satz im Jahresbericht der Kirchen Bern-Jura-Solothurn aus dem Jahr 2005 lässt eine Tendenz erkennen, welche schon in den Vorjahren wahrzunehmen war. In dieser Zielrichtung wurden dann weiterhin grosse Anstrengungen unternommen. Dies zeigt sich daran, dass über all die Jahre im Durchschnitt drei von vier angebotenen Kursen durchgeführt werden konnten. Das Angebot für Weiterbildung hat offensichtlich die Bedürfnisse der Pfarrpersonen getroffen.

Einen Schwerpunkt setzten die Verantwortlichen durch die Förderung der Pfarrpersonen in den ersten fünf Amtsjahren (WeA) durch gezielte Angebote sowie Fach- und Einzelcoaching. Die hier erreichten Fortschritte und die gemachten Lernerfahrungen waren und sind für eine befriedigende Amtsführung äusserst bedeutsam.

Was im Hinblick auf die Ausbildung an Vernetzung erreicht wurde, kann ebenso für die Weiterbildung in Anspruch genommen werden. Bestanden schon unter seinem Vorgänger schweizweite Kontakte, konnte Pfr. Dr. Hermann Kocher, seit Juli 2001 Leiter der Fachstelle Weiterbildung, die enge Zusammenarbeit mit den Weiterbildungsstellen im Konkordat (a+w in Zürich) und in der Romandie (opf in Neuenburg) ausbauen. Im Jahr 2005 nahm ein neu gegründeter Weiterbildungsrat unter der Leitung von Synodalrat Andreas Zeller seine Arbeit auf. Die Weiterentwicklung dieses Gremiums, bzw. der gesamten "Weiterbildung Schweiz", nahm dann Synodalrat Pfr. Lucien Boder an die Hand.

Ein deutliches Zeichen nach aussen war ab dem Jahr 2006 das regelmässige Erscheinen der Zeitschrift "momentum", welche wichtige Themen im Zusammenhang mit Kirche und Weiterbildung aufgreift. Ebenso konnte im gleichen Zeitraum die Website aller Weiterbildungsangebote unter www.weiterbildungkirche.ch erneuert werden. Durch diese Vernetzungen wurde die Zusammenarbeit der drei Weiterbildungsorganisationen gefördert und beworben.

Viel Arbeit forderte die Anpassung der längeren Weiterbildungen an die Vorgaben der Ausbildungsstrukturen nach "Bologna". So konnte in Zusammenarbeit zwischen der Kommission für Aus- und Weiterbildung für Seelsorge (aws), der Fachstelle Weiterbildung (pwb) und der Theologischen Fakultät der Universität Bern im Bereich Seelsorge ein breites Angebot erstellt werden.

Mit der Durchführung verschiedener grosser Tagungen zu Themen im Bereich Homiletik / Kasualien und Gemeindeentwicklung / Kybernetik legte die Fachstelle Weiterbildung das Fundament für Lernerfahrungen, die weit über das Jahr 2010 hinaus reichen werden.

Und ab dem Jahr 2009 wurde das Augenmerk zudem verstärkt auf die Entwicklung einer "Transferkultur" gerichtet. Entsprechende Massnahmen sollen dazu dienen, Gelerntes mit dem Alltag im Pfarramt besser verbinden zu können und gegenüber Behörden, Gemeindegliedern und den anbietenden Weiterbildungsstellen sichtbarer zu machen.

Entwicklungen in den Kirchen Bern-Jura-Solothurn

Mit Hinblick auf die Veränderungen in Aus- und Weiterbildung, in der Universität Bern und beim Kanton kann ganz klar festgehalten werden, dass die Jahre 2001 bis 2010 für das Pfarramt in den Kirchen Bern-Jura-Solothurn als Jahre des grundlegenden Wandels angesehen werden müssen. Somit soll hier ein Blick auf die innerkirchlichen Entwicklungen geworfen werden.

Diese Veränderungen waren zu Beginn der Berichtsperiode noch nicht absehbar. Denn wesentliche Arbeiten an den gesetzlichen Grundlagen des Pfarramts waren über Jahre blockiert gewesen.

Schon die Kirchenordnung von 1990 hatte den Auftrag zur Erarbeitung einer Dienstanweisung für Pfarrpersonen[6] enthalten. Die erkennbare Grundtendenz der Kirchenordnung jedoch hatte ganz andere Auswirkungen: die Betonung der Gleichwertigkeit der kirchlichen Dienste verstärkte die Spannungen zwischen den Pfarrinnen und Pfarrern, Sozialdiakoninnen und Sozialdiakonen sowie den Katechetinnen und Katecheten. Eine Dienstanweisung für alle Berufsgruppen kam nicht zustande.

Erst eine Reorganisation in den gesamtkirchlichen Diensten machte einen Neuanfang möglich. "(…) (D)er mit der Reo 2003 neu geschaffene Bereich Theologie und damit der Neudefinition der Theologie als eines synodalrätlichen Departements unter der Leitung eines promovierten Theologen, Synodalrat  Andreas Zeller, zusammen mit der Bereichsleiterin Astrid Mäder, einer Theologin mit Pfarramtserfahrung, war in der Lage, nun aber auch willens, den Synodenauftrag zu erfüllen und einen Dienstanweisung im Sinne einer Pastoraltheologie entstehen zu lassen."[7] Mit der Schaffung des Bereichs Theologie erhielt die Pfarrschaft in den Kirchen Bern-Jura-Solothurn erstmals einen klar bestimmten Ansprechpartner in den gesamtkirchlichen Diensten.

Unter der umsichtigen Führung des Bereichs Theologie wurde bei der Vernehmlassung zur Dienstanweisung auf einen konsequenten Einbezug der Pfarrschaft grosser Wert gelegt. Eine breit abgestützte Arbeitsgruppe legte einen Entwurf vor, welcher nach der Vernehmlassung in mehreren Lesungen im Synodalrat verabschiedet und der Synode zur Kenntnis gebracht wurde. Mit der Inkraftsetzung am 1.1.2006 war der Auftrag der Synode aus dem Jahr 1990 erfüllt.

Wichtig für den erfolgreichen Abschluss dieser Arbeit zum 01.01.2006 waren die Erfahrungen, welche man im Bereich Theologie schon mit der Erarbeitung des Leitbildes Pfarrerin / Pfarrer gemacht hatte.

Durch eine Veränderung der rechtlichen Grundlagen der Universität Bern wurde im Jahr 2000 die Synode gezwungen, ihre Kompetenzen betreffend eines Anforderungsprofils für Pfarrerinnen und Pfarrer an den Synodalrat abzugeben. Um die Rückbindung an die Synode zu gewährleisten, fügte die Synode einen Artikel in die Kirchenordnung[8] ein, welcher die Genehmigung eines Leitbildes "Pfarrerin/ Pfarrer" vorsieht.

Nach umfangreichen Vorarbeiten kamen Dienstanweisung und Leitbild kurz nacheinander in eine Phase der Vernehmlassung. Die Wintersynode 2003 befasste sich mit einem ersten Entwurf des Leitbildes. Die Pfarrkonferenzen des Jahres 2004 mit annähernd 400 beteiligten Pfarrpersonen beschäftigten sich dann mit beiden Dokumenten und es kam hier und da zu wortreichen Diskussionen. Das Leitbild Pfarrerin / Pfarrer wurden von der Synode im Dezember 2004 genehmigt mit der Auflage, den Text nach acht Jahren zu überprüfen und erneut zur Genehmigung vorzulegen. Es trägt ebenfalls die Handschrift von Bereichsleiterin Astrid Maeder und Synodalrat Andreas Zeller.

Es lässt sich im Nachhinein kaum ermessen, was es brauchte, diese beiden Texte zu erstellen und erst im Abstand von einigen Jahren lässt sich die Tragweite dieser Veröffentlichungen erkennen. Die Kirchenleitung begegnete darin dem grundlegenden Wandel des Kirchen-, Ämter- und insbesondere des Pfarramtsverständnisses. Wie Samuel Lutz, ehemaliger Synodalratspräsident, in seinem Beitrag zurecht festhält, "war ausdrücklich vom Pfarramt in der Krise die Rede."[9]  Mit den verabschiedeten Gesetzestexten reagierte der Synodalrat auf die erkannte Krise und schuf mit beiden Dokumenten ein Instrumentarium, welches sich in den kommenden Jahren bewähren sollte.

Anschliessend an die Entstehung dieser Grundtexte für das Pfarramt schloss sich fast nahtlos eine weitere Entwicklung an, welche erst nach dem Jahr 2010 zum Abschluss kommen sollte. Am 14. November 2007 beschloss der Synodalrat die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Überprüfung der Anstellungsbedingungen für Pfarrpersonen. Diese wurde aufgrund eines Projekts des Beauftragten für kirchliche Angelegenheiten des Kantons Bern nötig, denn im Hinblick auf eine Revision des bernischen Kirchengesetzes waren schon seit 2007 Vorabklärungen getroffen worden. Synodalratspräsident Samuel Lutz und der Beauftragte für kirchliche Angelegenheiten, Hansruedi Spichiger, waren sich der hier anstehenden Fragestellungen schon lange bewusst gewesen.

Folgende Themen wurden von der Projektgruppe unter kantonaler Leitung bearbeitet und anschliessend von verschiedenen Stellen zum Beschluss gebracht:

  • Anstellungsverfahren
  • Stellenzuteilungen
  • Minimalpensen im Gemeindepfarramt
  • Residenzpflicht / Dienstwohnungspflicht
  • Sanktionsmöglichkeiten, Beendigung Arbeitsverhältnis
  • Teamleitung
  • Besoldungen

Schon die Aufzählung zeigt, welche zentralen Bereiche des Pfarramtes hier einer Veränderung zugeführt werden sollten. Einige Punkte blieben auch nach dem Jahr 2010 noch offen. Anderes wurde vom Kanton Bern im Gesetz über die bernischen Landeskirchen geregelt.

Im Hinblick auf die Stellung und Arbeit der Pfarrpersonen wurden in diesen Jahren die Vorarbeiten für eine Revision der Kirchenordnung sehr bedeutungsvoll. Die Revision bezog sich auf die Stichworte "Kirche, Amt, Ordination, Beauftragung und Kirchenleitung." Insbesondere die zu klärende Frage des Verständnisses von Pfarramt im Verhältnis zur Gemeindeleitung durch den Kirchgemeinderat beschäftigte viele kirchlich interessierte Personen. Ausgehend von der sie bestimmenden Interessenslage hatten sowohl der Evang.-ref. Pfarrverein als auch der Kirchgemeindeverband des Kantons Bern Stellungnahmen anfertigen lassen, welche die Frage der Gemeindeleitung ein für allemal klären sollten. Die Ergebnisse waren bei weitem nicht deckungsgleich. Eine grundlegende Entscheidung in diesen Fragen wurde unumgänglich.

Tiefgreifende Debatten und viele Gespräche wurden über diese Fragen geführt - nicht nur in der Synode, auch in Pfarrvereinen und Pfarrkonferenzen.

Wichtige Grundsatzentscheide fällte dann die Synode in der Wintersession 2008 und in erster Lesung akzeptierte eine übergrosse Mehrheit die Revision der Kirchenordnung im Mai 2010. Es zeigte sich, dass eine konsequente Haltung des Synodalrates in dieser Frage überzeugend wirkte, und dass die sachgerechte Behandlung in der Synode durch den Synodalrat unter der Leitung von Synodalratspräsident Andreas Zeller und Departementschef Theologie Pfr. Lucien Boder gut vorbereitet worden war und entsprechend durchgeführt wurde. Somit wurde die Revision der Artikel in ihren Grundzügen noch in den Jahren vor 2010 aufgegleist und abschliessend mit Synodenbeschluss vom 24. Mai 2011 genehmigt.

Das Pfarramt in den Jahren 2001-2010: Einschätzungen, Beobachtungen, Ausblick

Wie schon vorangehend erwähnt, sind die Jahre 2001-2010 eine Zeit des grundlegenden Wandels im Pfarramt und im Verständnis desselben unter den Pfarrpersonen und in der (kirchlichen) Öffentlichkeit.

Durch die Entwicklungen, welche die Kirchenordnung in den Kirchen Bern-Jura-Solothurn ab 1990 ausgelöst hatte, konnte in der  Pfarrschaft eine zunehmende Verunsicherung festgestellt werden. "Was gehört denn zum Eigentlichen meines Berufs?", fragten sich viele. "All die Berufsgruppen in der Kirche machen "meine" Arbeit anscheinend besser als ich." Pfr. Samuel Lutz hält im Hinblick auf diese Zeit fest: "Ein Proprium des Pfarramtes war damit kaum mehr zu definieren."[10]

Mit den Dokumenten Leitbild und Dienstanweisung konnte der eigentliche Bereich des Pfarramtes klarer umschrieben werden. Gleichzeitig aber definierten beide Texte auch nach innen, was Pfarrerin-sein, bzw. Pfarrer-sein alles bedeutet. Vorgaben und Regelungen wirkten und wirken auch unterstützend auf Motivation und Arbeitsfreude der Pfarrpersonen.

Wenn noch in den 90er Jahren sehr wenige Vorgaben ausreichten, dass eine Pfarrperson in ihrem Pfarramt gemeinsam mit dem Kirchgemeinderat zum Wohl der Gemeinde "amtete", waren im Jahr 2010 verschiedene Dokumente zu beachten und ein Stellenbeschrieb zu erarbeiten. Darin spiegelt sich auch die zunehmende Verrechtlichung von Organisationen und Institutionen, welche ganz allgemein in der Gesellschaft zu beobachten ist.

Zunehmende Teilzeitarbeit und die stetige Steigerung des Frauenanteils in den Pfarrämtern sind zwei weitere wichtige Tendenzen, die in diesen Jahren zu beobachten sind [11] und welche wesentliche Veränderungen im Selbstbild der Pfarrpersonen auslösten. Nicht unwichtig scheint der Trend, den Stolz und Ballif so beschreiben: "(er) besteht in einer gewissen Verunsicherung bezüglich der eigenen Arbeitsplatzsicherheit, des Prestiges, der Entlöhnung und der generellen Zukunft des eigenen Berufsstandes."[12]

Eine für die kommenden Jahre entscheidende Entwicklung war in dieser Zeit ebenfalls schon zu beobachten. Dass sich ein zunehmender Mangel an Pfarrpersonen am Horizont abzeichnen würde, konnte schon in den Jahren ab 2007 erahnt werden. Prekär wurde die Situation sehr schnell in den französisch-sprachigen Gemeinden, sodass auf diese "penurie pastorale" mit  einzelnen Massnahmen reagiert werden musste. So wurden im Sinne einer Ausnahmeregelung ausserkantonale Pfarrpersonen für Vertretungsdienste zugelassen.

Aber auch in den deutschsprachigen Gemeinden machte sich zunehmend ein gewisser Mangel an Pfarrpersonen bemerkbar. Der Entscheidungsdruck auf die Kirchgemeinden blieb hoch, weil sich auf offene Pfarrstellen verschiedenste Personen aus Deutschland meldeten, die sich auf eine Stelle im Kanton Bern bewerben wollten. Auch dass die Zahlen der Studienanfängerinnen und -anfänger an den theologischen Fakultäten markant zurück gingen, liess sich schon bald erkennen.

An der Reaktion auf diese gravierenden Fragen wird sich in den kommenden Jahren entscheiden, wie der Beruf des Pfarrers sich entwickeln wird und ob er seine Anziehungskraft als ein Beruf mit viel gestalterischem Freiraum und verhältnismässig guter Bezahlung[13] beibehalten kann.

Andreas Gund

 


[1] Art. 194 Abs. 4 Kirchenordnung

[2] Synodalrat (2005), S.3

[3] Vgl. dazu den Bericht von Herrn Spichiger: Pfarrstellenplanungskommission

[4]  Vincenz, Ines (1999): Pfarramt in der Krise, S.14

[5] Ref. Kirchen Bern-Jura-Solothurn (2006): Tätigkeitsbericht 2005, S.60

[6] Art. 124 Abs. 4 Kirchenordnung

[7] Lutz, (2007), S. 249

[8] Art. 194 Abs. 3 KiO

[9] Lutz, (2007), S. 250 - s.o. unter 1.

[10] Lutz (2007), S. 248

[11] Weiter dazu: Stolz / Ballif (2010), S. 84 ff

[12] Stolz / Ballif (2010), S. 87

[13] Vgl. Neue Zürcher Zeitung, NZZ Ausgabe vom 14./15. Juli 2012, S.10

Literaturliste / verwendete Unterlagen

  • Kirchen Bern-Jura-Solothurn (2001 - 2010): Jahresberichte / Tätigkeitsberichte aus den Jahren 2001 bis 2010, hg. vom Synodalrat der Kirchen Bern-Jura-Solothurn.
  • Lutz, Samuel (2007): "Der Berner Synodus heute" -  Vortrag des Synodalratspräsidenten Herr Pfr. Samuel Lutz - abgedruckt in: Die Wahrheit ist untödlich. Berner Täufer in Geschichte und Gegenwart. Beiträge eines Vortragszyklus an der Universität Bern im Winter 2006 / 2007, hg. von R. Dellsperger und H.R. Lavater, Bern, 2007, - Simova Verlag - S. 243-262.
  • Stolz, Jürg und Ballif, Edmée (2010): Die Zukunft der Reformierten, TVZ, Zürich, 2010.
  • Synodalrat (2005): Leitbild Pfarrerin / Pfarrer, hg. vom Synodalrat der Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Bern, 2005. [Siehe PDF: Leitbild Pfarrerin / Pfarrer – Stand: 31.08.2012]
  • Synodalrat (2006): Dienstanweisung für Pfarrerinnen und Pfarrer, hg. vom Synodalrat der Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Bern, 2005. [Siehe PDF: Dienstanweisung für Pfarrerinnen und Pfarrer – Stand: 31.08.2012]
  • Vincenz, Ines (1999): Schlussbericht zur Studie "Pfarramt in der Krise?" . 14 Seiten, hg. von Ines Vincenz, Februar 1999.

Interviews mit: Pfrn. Christine Schmid, Pfr. Eduard Fuhrer, Herrn Pfr. Alfred Palm, Past. Marie-Laure Krafft Golay

Die Arbeit in den Pfarrämtern war in den Jahren 2001 bis 2010 einem grossen Wandel ausgesetz. Dies zeigt der Bericht deutlich. Wie aber wirkte sich dieser Wandel in den Kirchgemeinden und in den Pfarrhäusern aus? Vier Pfarrpersonen, welche in diesen Jahren arbeiteten, haben ihre Erfahrungen reflektiert und in Interviews geäussert. Hören Sie jeweils zu den Stichworten die Überlegungen und Gedanken von:

Frau Pfrn. Christine Schmid, Jahrgang 1981, Pfarrerin in der Kirchgemeinde Bolligen seit 2008.
Herrn Pfr. Eduard Fuhrer, Jahrgang 1947, Pfarrer seit 1974, bis 2011 Pfr. Kirchgemeinde Steffisburg.
Herrn Pfr. Alfred Palm, Jahrgang 1959, erste Pfarrstelle 1992, Regionalpfarrer Mittelland-Oberaargau seit 1999.
Frau Pfrn. Marie-Laure Krafft Golay, Jahrgang 1968, Pfarrerin seit 1999, Paroisse française Biel.