Der Kirchensonntag, Zeichen einer lebendigen Kirche

Für die Einführung eines Kirchensonntag 1913 sprachen einerseits ein ideeller und anderseits ein materieller Hauptgrund: Die Beteiligung der Gemeinden am Gottesdienst und am Gemeindeleben sollten gefördert werden. Ergänzend dazu wurde auch materiell gedacht. Eine neue Kollekte sollte finanzielle Grundlagen schaffen für den Bau von Versammlungshäusern zur Förderung des Gemeindelebens.

2002 gab der Synodalrat eine Studie zur Evaluation des Kirchensonntags in Auftrag. Erfreulicherweise zeigt die von Sonja Perren und Pasqualina Perrig-Chiello verfasste Studie[1] auf, dass der Kirchensonntag eine hohe Akzeptanz in den Gemeinden geniesst. An seiner Durchführung und Organisation sind durchschnittlich fast 7 Personen beteiligt. Über 95 Prozent der Feiern werden von Laien (Frauen und Männer) in Eigenregie oder in Zusammenarbeit mit einer Pfarrperson gestaltet. "Der Kirchensonntags-Gottesdienst wird durch die kreative Gestaltung der Laien attraktiv und motiviert viele Leute zum Kirchenbesuch - auch solche, die sonst nicht teilnehmen. In den meisten Kirchgemeinden wird der Gottesdienst durch einen sozialen Anlass ergänzt, was Gelegenheit zum Austausch bietet."[2] So sind die meisten Kirchgemeinden der Meinung, dass die Beteiligung der Laien am Kirchengeschehen das wichtigste Ziel des Kirchensonntags ist. Einer der Hauptgründungszwecke des Kirchensonntags hat also noch heute eine hohe Aktualität und Bedeutung.

Weiter ergab sich in dieser Studie, dass eine gute professionelle Unterstützung durch Pfarrpersonen und andere Mitarbeitende der Kirchgemeinden und der Fachtagung der Kantonalkirche wichtig sind. Der Kirchensonntag kann so Türöffner sein für ein weiteres freiwilliges Engagement in der Kirche. An manchen Orten führt die Verantwortung der Laien für einen Gottesdienst zu einem besseren Verständnis zwischen den Freiwilligen der Pfarrperson.[3]

"Die Kirche lebt nur da, wo sich viele verschiedene Menschen mit ihren Fähigkeiten und Begabungen einbringen können"[4] schreibt Robert Zimmermann zum Thema Freiwilligenarbeit in der Kirche in der Einleitung zur Kirchensonntagsbroschüre 2001.

Dass die Kirchensonntagsdekade eingerahmt wurde durch die Auseinandersetzung mit zwei internationalen Jahren (2001 und 2011) zum Thema Freiwilligenarbeit steht dem Kirchensonntag gut an. Dabei wird deutlich, welch erfreulichen Weg die kirchliche Freiwilligenarbeit in diesen zehn Jahren gegangen ist[5]. Der Titel "Viel mehr als frei und willig" von 2001 zeigt, wie sehr damals noch prinzipielle Grundlagenarbeit für die Anerkennung und Hochachtung der Freiwilligenarbeit geleistet und auch um ihren Platz im Gemeindeleben gekämpft werden musste. "Freiwillig engagiert für eine lebendige Kirche", so der Titel von 2011, geht selbstbewusst, unverkrampft und fast schon stolz an das Thema der kirchlichen Freiwilligenarbeit heran mit der Botschaft: Die Freiwilligen tragen zu einem beträchtlichen Mass dazu bei, dass die Kirche lebendig ist und bleibt.

Wie das Beispiel "Freiwilligenarbeit" zeigt, wiederspiegeln sich aktuelle Fragestellungen und Brennpunkte der kirchlichen Praxis aber auch des gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Zeitgeistes in den Kirchensonntagsthemen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, die Kirchensonntagsthemen der letzten Dekade ein bisschen näher anzuschauen.

Aktuelle gesellschaftliche Prozesse, die stark in das Privatleben einzelner Menschen hinein reichten, wurden aufgenommen und differenziert ausgelegt wie: Väter und Mütter in Bewegung - daheim und in der Gesellschaft(2003), Überwindung von Gewalt(2004), Es geit u geit bis es nümme geit. Psychisch krank - und jetzt... (2005), Generationen gemeinsam unterwegs (2010).

Aber auch internationale Impulse wurden aufgenommen  - wie zum Beispiel das internationale Jahr der Berge (2002) -  und mit den kontroversen Untertiteln versehen: Die Berge - Spiritualität und Herausforderung, Lebensraum und Zufluchtsort. Es scheint ein Qualitätsmerkmal des Kirchensonntags zu sein, dass Spannungsverhältnisse aufgezeigt und ausgehalten und in ein neues fruchtbares Verhältnis gesetzt werden. "Das Berggebiet soll weder als Reservat für die Touristen aus dem Unterland oder für Naturschützer gepriesen, noch als heilige Welt für Heimatschützer propagiert werden. Es wird als integriertes, dynamisches System dargestellt, das verschiedenste Ansprüche miteinander verbindet. Erst diese aufeinander abgestimmte Vielfalt macht das System Berggebiet tragfähig für Mensch und Natur." schreibt Stefan Frey in der damaligen Wegleitung.[6]

Der Synodalrat scheute sich auch nicht, umstrittenere Themenbereiche für den Kirchensonntag zu setzen wie 2008 "Begegnung und Dialog der Religionen". Damit wurde ein Thema aufgenommen, das manche Menschen beschäftigt und verunsichert, das mit den Wurzeln der eigenen Identität zu tun hat. In vielen Gemeinden wurden rund um diesen Kirchensonntag Begegnungen geschaffen, Dialoge geführt und gegenseitige Ängste und Vorurteile abgebaut. Ein Stück Friedensarbeit wurde dabei geleistet.

In einer sich stetig und mit enormem Tempo verändernden Welt nahm der Synodalrat für den Kirchensonntag auch sinnlich, besinnliche, heimatstiftende und entschleunigende Themenbereiche auf wie Entschleunigung (2000), Sinn suchen - Schätze finden. Christliche Spiritualität im Alltag (2006), Kirche in der Nähe (2007), Mit allen Sinnen - Gott feiern (2009).[7]

Der Kirchensonntag ist gerade darum ein wertvolles Gut für unsere Kirche, weil er sich mit ihr verändert und dabei immer für eine lebendige Gemeinde und eine für ihre Mitglieder und die Gesellschaft engagierte Kirche einsteht. In den letzten 10 Jahren standen unzählige Menschen mit ihren Begabungen, ihrer Zeit und ihrem Engagement für einen suchenden, sinngebenden, identitätsstiftenden aber auch hinterfragenden, aufrüttelnden und nachdenklich stimmenden Kirchensonntag ein, lebendig am Puls der Zeit.

Anja Kruysse



[1] Evaluation, Der Bernische Kirchensonntag, Evaluationsstudie im Auftrag der Reformierten Kirchen Bern-Jura, Working Report 2002, Sonja Perren und Pasqualina Perrig-Chiello

[2] Perren&Perrig-Chiello S. 37

[3] Perren&Perrig Chiello S. 32

[4] Viel mehr als frei und willig, Perspektiven der Freiwilligenarbeit in der Kirche, Zum internationalen Jahr der Freiwilligen und Ehrenamtlichen, Kirchensonntag 2001

[5] Siehe auch Abschnitt "Freiwilligenarbeit" im 10 Jahresbericht

[6] Internationales Jahr der Berge, die Berge - Spiritualität und Herausforderung, Lebensraum und Zuchflucht, Kirchensonntag 2002, S. 7

[7] Die Liste der Themen des Kirchensonntags finden Sie unter http://www.refbejuso.ch/inhalte/kirchensonntag.html