Es konnte Vertrauen aufgebaut werden

Lucien Boder ist als Synodalrat und Departementsvorsteher Theologie innerhalb der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn politisch verantwortlich für die Gespräche mit den Gemeinschaften.

Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn haben ihr Verhältnis mit den evangelischen Gemeinschaften nun geklärt. Welches Gewicht haben diese Gemeinschaften eigentlich innerhalb der reformierten Kirchen?

Die Gemeinschaften sind ein Teil unserer Kirche, und zwar kein unwesentlicher. Mit ihren reformatorischen Wurzeln sind sie uns nah verwandt. Mit ihnen sind wir im Kanton Bern in einer besonderen Situation, denn an anderen Orten, etwa in der Westschweiz, haben sich ähnliche Gruppen ganz von der reformierten Kirche abgespalten.

Die Gemeinschaften wurden gegründet als Antwort auf eine Landeskirche, die als zu lau empfunden wurde. Ist sie dies?

So generell kann man dies bestimmt nicht sagen. Allerdings haben wir einen anderen Bezug zur Bibel. Die reformierte Kirche bezieht sich auf die Bibel, "die sie nach bestem Wissen und Gewissen unter der Leitung des Heiligen Geistes erforscht", wie es in der Kirchenverfassung heisst. Für gewisse Kreise ist dieses wissenschaftliche Forschen an der Bibel jedoch bereits zu viel.

Die zentrale Frage ist doch, wie man das Gegenüber wahrnimmt. Ist man allzu starr in seiner Auslegungstradition, besteht die Gefahr, dass man den Glauben des anderen abmindert. Das wäre jedoch fatal. Dies ist jedoch eine Gefahr, die nicht nur gegenüber der Landeskirche besteht, sondern innerhalb jeder Erneuerungsbewegung durch die ganze Kirchengeschichte, und sogar schon in der Bibel: Anfangs herrscht feurige Begeisterung, die mit der Zeit abflacht. Dann kommt eine neue Gruppe, die dieses Feuer wieder entfachen will, und gründet abermals eine neue Bewegung. Stärker als in der katholischen Kirche ist bei den Reformierten jedoch die Tendenz, dass sich neue Bewegungen ausserhalb entwickeln.

In dem gemeinsamen Weg, den die evangelischen Gemeinschaften und die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn zurückgelegt haben, konnte Vertrauen aufgebaut werden. Wir haben auch sehr sorgfältig analysiert, wo wir uns nicht einig sind. Dies ist für mich der Gewinn dieses ganzen Prozesses – und zwar für beide Seiten. Sowohl wir wie auch die Gemeinschaften konnten mutig und in einer guten Atmosphäre zeigen, wo wir uns ähnlich sind, und wo wir uns voneinander unterscheiden.

Wo können die reformierten Landeskirchen von den Gemeinschaften etwas lernen? Wo lassen sie sich herausfordern?

Mich beeindruckt das intensive Gemeindeleben der Gemeinschaften. Mir scheint, dies fehlt uns, und wenn wir es nicht lernen, könnte es für uns schwierig werden. Eine Gemeinde lebt nicht nur von "Passivmitgliedern", sie braucht eine Kerngemeinde, welche die Idee Christsein lebt und nach aussen trägt, die Lust macht auf Gemeinde. Bei uns ist der Zusammenhalt der Menschen teilweise halt schon sehr lose.

Ist ein so intensives Gemeindeleben in den Strukturen einer Landeskirche überhaupt möglich?

Das will ich nicht ausschliessen, auch wenn es vielleicht ein wenig Beweglichkeit und Toleranz braucht. Wir müssen aber nicht erst neue Strukturen erfinden, bevor sich das Leben ändert. Es ist eher umgekehrt, dass die Strukturen dem Leben folgen.

Was bringt nun der mit den Gemeinschaften ausgehandelte "Code de bonne conduite" den Kirchgemeinden?

Unsere Hoffnung und unser Wunsch ist es, dass das Papier auf Gemeindeebene die Basis schafft zu einer guten Zusammenarbeit. Wenn Feindbilder beseitigt werden, wenn man sich gegenseitig nicht den Glauben abspricht, wenn man im anderen den Mitchrist sieht, ist schon viel gewonnen. Ich meinerseits kann gut leben mit den Gemeinschaften, auch wenn ich mit einigem nicht ganz einig bin.

Die Schwierigkeiten an der Basis sind in der Regel nicht theologische Probleme, sondern die zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich habe das an meiner ersten Pfarrstelle erlebt, als ich mich mit den Leitern pietistischer Gruppen an einen Tisch gesetzt hatte. Plötzlich merkten die Leiter, dass ich nicht "weg vom Glauben" bin, nur weil ich die Bibel etwas anders auslege als sie. Sie akzeptierten, dass es auch im Glauben verschiedene Sprachen gibt.

Bisher suchte man das Gespräch mit der katholischen Kirche, nun sind es die Gemeinschaften. Werden die reformierten Kirchen als nächstes auf die Freikirchen zugehen?

Mit einigen dieser Gruppen sind wir tatsächlich im Gespräch, vor allem im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft der Kirchen im Kanton Bern (AKB) und der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK-CH). Gespräche sind allerdings schwierig, solange wir von einigen Freikirchen als Konkurrenz angesehen werden. Um miteinander zu sprechen, braucht es immer das Interesse beider Seiten.

Thomas Uhland