Im Mahlwerk von Regierung und Parlament

Signale der kleinen und der grossen Kirchengesetzrevision

Studienurlaub für Pfarrerinnen und Pfarrer, bessere Pfarrstellenbewirtschaftung und Theologiestudium waren die Themen der kleinen Kirchengesetzrevision, die am 1. Januar 2006 in Kraft trat. Konnten diese Themen die Öffentlichkeit interessieren? Waren sie wenn nicht welt-, so doch "bernbewegend"? Wer von den Gläubigen, die meistens auch Bürgerinnen und Bürger sind, nach den Ursachen der Revision forscht, kommt nicht um ein Ja herum. Und bei der grossen Revision war es nicht anders.

Seit 2006 können evangelisch-reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer nach zehn Dienstjahren einen grosszügigeren Studienurlaub in Anspruch nehmen. Die Revision hat ihn von vier auf sechs Monate verlängert und aufteilbar gemacht. Interessanterweise kam der Anstoss von der evangelisch-reformierten Kirchensynode her, und er hatte überaus wichtige Beweggründe.

Erhöhte Erwartungshaltung

Die Berufsumstände der Pfarrerinnen und Pfarrer sind belastender geworden, schrieb die Berner Kantonsregierung in ihrer Argumentation. Die Gründe liegen in den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen. Die Erwartungshaltungen drücken härter als früher, es wird vermehrt Spezialwissen verlangt. Es ist wichtig – wie es im Vortrag des Regierungsrates hiess – "heutigen Qualitätsanforderungen genügen zu können". Aber das Begehren wurzelte noch viel tiefer, nämlich dort, wo das Burnout-Syndrom droht. Hier ist von "erhöhter Anfälligkeit" die Rede, offenbar Ausdruck leidiger Erfahrungen von Betroffenen und ihrer Umgebung. Aber weil Kanton und Gemeinden nicht nur fördern sollen, sondern auch sparen müssen, übertrugen sie dem Urlauber eine zehnprozentige Gehaltsreduktion. 

Auch die Änderungen beim Bewirtschaften von Pfarrstellen waren Ausdruck der Zeitumstände, die indessen ein Dilemma erzeugten: Die Aufgaben haben sich so verändert, dass in der kirchlichen Arbeit vermehrt regional zusammengewirkt werden sollte. Dazu bedurfte es durchlässigerer Strukturen.  Deshalb fasste man ins Auge, Pfarrstellen mehreren Kirchgemeinden zuzuordnen. Das Dilemma? Es gab insgesamt nicht mehr, sondern – der Sparvorgaben wegen – weniger Stellen.

Bei der Ausbildung hatten das neue Universitätsgesetz und ein Grossratsbeschluss die Zusammenlegung der beiden theologischen Fakultäten vorgezeichnet. Dem hatte das Kirchengesetz als eigentliche Grundlage für die Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer Rechnung zu tragen. Konsequent war auch, im Kirchengesetz die Zuständigkeiten besser zu regeln: universitäre Ausbildung als alleinige Aufgabe der Universität, während die Verantwortung für praxisorientierte Ausbildungsteile und deren Qualitätsprüfung separat zu regeln waren. Die vom Kanton eingesetzte Prüfungskommission beschränkt sich auf die Qualitätskontrolle  im praktischen Bereich, während die fakultäre Prüfungskommission die akademische Ausbildungsqualität verantwortet.

Die Prüfungskommission befasst sich auch mit Pfarrerinnen und Pfarrern, deren Ausbildung ausserkantonal erfolgte. Wie aus der regierungsrätlichen Antwort 2009 auf die Interpellation Wälchli-Lehmann ersichtlich wird, spielt dabei die Ausprägung der verschiedenen Landeskirchen eine wichtige Rolle. 

Neue Lösungen bei der Anstellung

Schon im letzten Viertel der Dekade wurde greifbar, was letztlich in die grosse Kirchengesetzrevision mündete, die auf den 1. Januar 2012 in Kraft trat. Sie kreiste um verschiedene Fragen der Anstellung von Pfarrpersonen im Kanton Bern, konkret: um ihre Residenzpflicht und um das Errichten öffentlichrechtlicher Dienstverhältnisse.

Die Zeit diktiert, wann die Mühlen mahlen sollen. Aber in der Zeitläufte werden nicht irgendwelche unheimlichen Kräfte aktiv, sondern einzelne Menschen. So setzte die FDP-Grossrätin Brigitte Bolli Jost am 22. November 2007 einen wichtigen Hebel in Bewegung, als sie das Parlament für ihre Motion gewann. "Gleichlange Spiesse für die Kirchgemeinden und den Kanton", so war ihr Vorstoss betitelt, der ein klares Ziel verfolgte: Der Kanton sollte den Geistlichen an Stelle eines Pfarrhauses auch eine gemietete Dienstwohnung zur Verfügung stellen können. Damit sollte der Kanton die gleiche Handlungsfreiheit bekommen wie die Gemeinden, denen es frei gestellt war, die Dienstwohnung in einer gemieteten Wohnung oder  im herkömmlichen Pfarrhaus unterzubringen.

Der Regierungsrat war offen für die Liberalisierung. Deshalb flossen in die grosse Kirchengesetzrevision entsprechende Bestimmungen ein. Nach dieser Residenzpflicht-Änderung hat jede Kirchgemeinde nur noch mindestens eine einzige  Dienstwohnung zur Verfügung zu stellen, eine Vorgabe, die auch auf eine Region erstreckt werden kann, sofern die pfarramtlichen Aufgaben in ein gemeinsames Pfarramt zusammengefasst werden. Wo der Kanton Eigentümer des Pfarrhauses ist, übernimmt er diese Verpflichtung ebenso. Damit ergab sich ein weiterer Zusammenhang, nämlich jener mit der 2003 überwiesenen Motion Bichsel/Bieri zu den Pfarrhausverkäufen an die Gemeinden, der es den Kirchgemeinden ermöglichte, dem Kanton das Pfarrhaus auf der Grundlage eines Ertragswertes abzukaufen.

Nicht minder wichtig war die Art des Anstellungsverhältnisses selber. Seit der Revision wird es mit einem unbefristeten öffentlichrechtlichen Vertrag begründet, der zwischen Kirchgemeinderat und Pfarrperson abgeschlossen wird. Ein demokratisches Mitspracherecht wurde in der Regelung gefunden, solche Anstellungen der Kirchgemeindeversammlung zur Genehmigung zu unterbreiten.

Gleichzeitig fasste die Gesetzesänderung die Funktion der Oberbehörden genauer, die je nach Landeskirche anders definiert sind. Im Falle der evangelisch-reformierten Kirche ist damit deren Synodalrat angesprochen. Die Aufsichtsfunktion dieser Oberbehörden wurde gestärkt (etwa mit dem Antragsrecht auf Streichung aus dem bernischen Kirchendienst usw.). Das war logisch, nachdem die Aufgaben der Pfarrpersonen inhaltlich klar dem Autonomiebereich der Kirche zugeordnet sind.

Interessant ist auch, dass im Rahmen der grossen Revision das Bedürfnis erkannt wurde, Teamleitungsaufgaben zu entschädigen, was allerdings entsprechende Strukturen verlangt. Das Bedürfnis zeigte sich nicht zuletzt angesichts der wachsenden Grösse der Teams, und diese wiederum ist oft eine Folge der zunehmend teilzeitlichen Stellenbesetzungen. Da bleibt noch einiges zu tun.  

Zur Teilzeitarbeit hatte sich der Regierungsrat schon 2002 in seiner Antwort auf die Interpellation Käser geäussert. Die Nachfrage nach teilzeitlichen Aufgaben habe zugenommen, schrieb er damals. Immerhin waren rund 37 Prozent aller Pfarrstellen teilamtlich oder im Job-Sharing-Verhältnis besetzt. Die Unterscheidung dieser beiden Formen ist nicht unwichtig, weil bei einer Kündigung im Falle des Job-Sharings die ergänzende Teilstelle mitbetroffen ist. Laut Regierungsrat waren 15 Prozent des Gesamtstellenetats im Job-Sharing geregelt. 

Pfarramtliche Versorgung als Produkt

Wer sich ins Verhältnis zum Staat setzt, muss auch dessen Haushaltlage bedenken. Das galt und gilt auch für die evangelisch-reformierte Kirche. Sie konnte mitverfolgen, wie der Regierungsrat anfangs 2002 die "Strategische Aufgabenüberprüfung (SAR)" in Gang setzte, die recht umfassend ausfiel und zu einem Bericht (2002) mit Ergänzungsbericht (2003) führte.

Hier fand sich die Kirche in der Produktgruppe "Pfarramtliche Versorgung der Kirchgemeinden und Beziehung zwischen Kirche und Staat", wo es konkret um das Produkt Nr. 45-033 ging: die pfarramtliche Versorgung der Kirchgemeinden, Koordination und Beratung. Dieses Produkt umfasste  vor allem die Einsparung von etwa 30 Pfarrstellen.

Weil die Pfarrerinnen und Pfarrer bis Ende 2007 gewählt waren, konnten Kündigungen erst auf diesen Zeitpunkt hin ausgesprochen werden, so dass es nicht erstaunen konnte, wenn der im SAR-Bericht festgehaltene Stellenabbau erst 2008 niedrigere Zahlen aufwies (23.1). Nun erst konnte das volle Sanierungspotenzial greifbar werden.

Handfeste Wirklichkeit wurden diese Sparanstrengungen mit den Beschlüssen, die der Grosse Rat zur Festsetzung der Pfarrstellen fasste. Hatte der Beschluss vom Januar 1996 der evangelisch-reformierten Landeskirche noch 39130 Stellenprozente zugewiesen, so waren es in jenem vom Januar 2009 noch 36480. Damit fielen 2650 Stellenprozente weg. Wie die vom Kanton besoldeten Pfarrstellen den evangelisch-reformierten Kirchgemeinden zugeordnet wurden, konnte die Kirche der Verordnung entnehmen, deren Fassung von Ende 2005 die Kompliziertheit der Situation deutlich genug verriet. Nicht nur die Zahl der Konfessionsangehörigen zählte, sondern auch die Betreuungsstruktur (Topografie, Fläche), die Existenz von Alters- und Pflegeinstitutionen und anderes mehr. Die Verordnung 2005 wurde im Oktober 2011 durch eine Neufassung ersetzt.

Religionsfreiheit für Unternehmerinnen und Unternehmer?

Die Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen hat schweizweit immer wieder ein Diskussionsfeld hergegeben und beschäftigte auch andere Kirchen. Für die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Bern wurde das Thema mit der Motion Bolli Jost 2006 aktuell. Der Regierungsrat stellte in seiner Antwort vom März 2007 klar, dass er die Abschaffung als "nicht sinnvoll" erachtete und deshalb Ablehnung beantragte. In seiner Begründung führte er rechtliche Überlegungen ins Feld. Er liess sich aber auch über die Wirkung einer Steuerbefreiung aus und stellte einen interkantonalen Vergleich an: Zwanzig Kantone kennen die Kirchensteuer juristischer Personen. Der Rat zog nach und lehnte die Motion ab.

Status quo oder Entflechtung?

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat wurde im Kantonsparlament ausführlich diskutiert, als die Motion Messerli/Löffel 2007/2008 Gelegenheit dazu bot. Die Motion hatte einen Bericht vor Augen, der als Basis für eine Grundsatzdebatte gedacht war. Im Motionstext wurde das "bestehende enge Verhältnis" zwischen dem Kanton und den drei staatlich anerkannten Landeskirchen aufgeführt, aber auch deren – wie es hiess - "finanzielle Bevorzugung". Der Motionstext erinnerte ausserdem an die Debatte zur Motion Bolli betreffend Steuerpflicht für juristische Personen.

Der Regierungsrat verwies auf das Gutachten Ueli Friederich, lehnte eine erneute Untersuchung ab und schloss: "Da nicht davon auszugehen ist, dass ein erneutes Gutachten neue Erkenntnisse zeitigen wird, erachtet es der Regierungsrat weder als angebracht noch als sinnvoll, die dazu notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen einzusetzen." Der Grosse Rat folgte ihm und lehnte die Motion ab.

Grundsätzlich angelegt war auch die Interpellation Kunz, die 2004 die "religiös-fundamentalistische Praxis und deren Existenz an bernischen Schulen" zur Sprache brachten. Was ist zum Kopftuch-Tragen zu sagen, was ist zu tun, wenn Lehrbeauftragte oder Studierende an Schulen religiös-fundamentalistische Ansichten verbreiten? Der Regierungsrat antwortete gründlich und ausführlich auf die gestellten Fragen.

Keine Anerkennung der Freikirchen

Es gab aber auch Vorstösse ausserhalb des Parlaments, die den Staat gleich wie die Kirche interessieren mussten. Dazu gehört das Gesuch 2005 des Verbandes evangelischer Freikirchen und Gemeinden um öffentlich-rechtliche Anerkennung. Der Regierungsrat antwortete, nachdem ein Kurzgutachten eingeholt war und der Gesuchsteller auf dem Gesuch beharrte. Dies erfolgte zunächst mit hilfreichen Hinweisen, etwa auf Überlegungen, die in einer Studie an der Universität Freiburg angestellt worden waren. Aber er lehnte ein eigenes Aktivwerden ab, wobei die Begründung verriet, wie heikel ein solcher Vorgang gewesen wäre: "Angesichts der sehr sensiblen Fragestellung, welche in der öffentlichen Wahrnehmung hohe Emotionen bewirkt, möchte der Regierungsrat im jetzigen Zeitpunkt auf die Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage verzichten."

Ronald Roggen

 

Täuferverfolgungen

rro. Wiederholt kam die vieldiskutierte Täufergeschichte ins bernische Kantonsparlament, einmal auf etwas ungewohntem Weg. Die Motion Jost hatte nämlich angeregt, den Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag durch den Regierungsrat "erneuern" zu lassen und ihn mit aktuellen Inhalten zu füllen, damit er wieder als Feiertag wahrgenommen werde. Interessant ist, was im Motionstext zum Punkt "Busse" ausgesagt wurde. "Jede Regierung", hiess es dort, "macht, auch unwissentlich, Fehler. Sie werden oft erst im Spiegel der Geschichte offenbar, z.B. Täuferverfolgungen …"

Der Regierungsrat lehnte zwar die Motion ab, musste sich aber keineswegs den Vorwurf gefallen lassen, sich der Diskussion über die Täufergeschichte entzogen zu haben. Schon anfangs des Täuferjahres 2007 hatte er ausführlich auf die Interpellation Gasser geantwortet, und gegen Ende des gleichen Jahres wehrte er sich, als ihm vorgeworfen wurde, sein Bedauern allzu vorsichtig geäussert zu haben. Mit der Feststellung, dass die Täuferverfolgungen aus moralischer Sicht "nicht akzeptable Ereignisse" waren, dürfte er für die meisten verständlich und klar genug gewesen sein.

Zitate

Aus einer Rede 2010 Hansruedi Spichigers, des damaligen Beauftragten für kirchliche Angelegenheiten

"Die heutigen Verhältnisse von Kirche und Staat entsprechen weitgehend den Festlegungen des Kirchengesetzes von 1874. Wohl datiert das heutige Gesetz von 1945. Doch war das mehr eine Weiterentwicklung und ein Ausbau der Grundkonstruktion von 1874, nicht eine neue Konzeption."

"Der Staat sichert die rechtlichen Strukturen, aber er sichert nicht die Strukturen an sich. Für die trägt er keine Verantwortung. Wenn beispielsweise Kirchgemeinden zu klein werden, um die komplexer werdenden Aufgaben eigenständig zu erfüllen, dann ist es nicht die Aufgabe des Kantons, diese Kirchgemeinden mit zusätzlichen Mitteln oder andern Massnahmen zu stützen."

"Neue Lebensentwürfe führen zu neuen Bedürfnissen. Lebenspartnerinnen und Lebenspartner von Pfarrpersonen sind beispielsweise immer weniger bereit, ihre eigene berufliche Zukunft dem Pfarramt des Partners bzw. der Partnerin unterzuordnen ... Der Wunsch nach geteilter Familienverantwortung führt zum Wunsch nach teilzeitlicher Beschäftigung."

"Längst ist in sehr vielen Kirchgemeinden das Einzelpfarramt durch ein Team abgelöst … Aber diese Veränderungen wurden in den meisten Kirchgemeinden organisatorisch kaum bewältigt."
(rro)