1921 – 1930 Rudolf von Tavel

Volk heran, zur Arbeit!

Bericht über das religiöse, kirchliche und sittliche Leben der bernischen Landeskirche in den Jahren 1920 – 1930. Im Auftrag des evangelisch-reformierten Synodalrates verfasst von Dr. R. v. Tavel, 93 Seiten.

In der Person von Rudolf von Tavel beauftragte der Synodalrat für seine Berichterstattung erstmals einen Laien. Das sei kein blosser Zufall, sondern ein wohlüberlegter Entschluss. Mitarbeit der Laien ist ein Programmpunkt unserer Volkskirche. Unter diesem Gesichtspunkt steht denn auch der Bericht als Ganzes. Der Titel Volk heran, zur Arbeit! will als ein Aufruf an die Kirche verstanden sein: Zieht die Laienkräfte heran. Es sei höchste Zeit, und das steht dann am Schluss des Berichtes: Wir sind reichlich spät aufgestanden und haben manche kostbare Gelegenheit zur Heranziehung von Laienkräften verpasst.

Auch für diesen Bericht hatte der Synodalrat den Pfarrämtern und Gemeinden eine Anzahl Fragen gestellt. 218 Beantwortungen sind an ihn zurückgegangen.

Der Bericht beginnt mit einem Blick in die weltweite Kirche, stellt diese in den Kontext der damaligen politischen Lage nach dem Versailler Frieden und betont die Zugehörigkeit auch unserer Kirche zur ökumenischen Bewegung. Diese bezeugt den Willen der Kirchen, nach dem kriegerischen Zusammenbruch zum Frieden auf der Welt beizutragen. Die Gründung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes ist im Rahmen der weltweiten Ökumene ein wichtiger Schritt zur Bündelung der Kräfte im Bemühen um Einheit und Frieden unter den Menschen und Völkern. Ausdrückliche Erwähnung finden die Weltkirchenkonferenz für praktisches Christentum (Life and Work) 1925 in Stockholm sowie die Weltkirchenkonferenz für Glaube und Verfassung (Faith and Order) 1927 in Lausanne.

Nur in diesem weltweiten Horizont kann verstanden und ermessen werden, wer wir als Kirche hier zu Lande sind. Einerseits nämlich eine verschwindend kleine Minderheit, andererseits aber dazu berufen, aus der Kraft des Evangeliums beizutragen zur Überwindung der Krise, wie sie die damaligen Jahre quälend prägte, politisch unter den Völkern und wirtschaftlich im eigenen Land.

Bevor der Bericht auf die eigentliche kirchliche Tätigkeit zu sprechen kommt, schreitet der Verfasser zunächst das politisch-wirtschaftlich-kulturelle Umfeld ab, in dem wir als Kirche stehen. Zurückhaltung legt sich hierbei der Berichterstatter keine auf. Im politischen Leben mangle es an charaktervollen Persönlichkeiten; auf dem Gebiet der Wissenschaft herrsche das Karrieredenken vor; gerade als Laie müsse man feststellen, welch tiefe Kluft zwischen der Theologischen Fakultät und dem Kirchenvolke gähnt; als Hörer des Wortes hätte er einiges zu sagen, worin nach Form und Inhalt eine gute Predigt bestehen müsste, die anregt und nicht aufregt; den Kulturzweig der Kunst möge man nicht unterschätzen, auch diese sei zwar nicht über alle Zweifel erhaben, die aufgekommene Sensationsgier jedenfalls sei ihr abträglich; der Film als neue Kunstform vermöge noch nicht zu überzeugen, schamlos bringe er die Korruption auf die Leinwand; das Versicherungswesen fördere den Leichtsinn; die Zustände auf der Landstrasse mit dem zunehmenden Autoverkehr seien lebensgefährlich geworden; der Sport, an sich sonst eine gute Sache, beanspruche in unzulässiger Weise den Sonntag; der Landwirtschaft fehlten die Dienstboten, Knechte und Mägde, was sich belastend auswirkt auf die Arbeit der Frau und der Kinder.

Dies alles festgestellt geht der Bericht nun über zur Beschreibung der Aufgabe der Kirche. Sie bestehe in der Sorge um das geistliche Leben, diese gehe allem voraus, und müsse die Aufgabe der Kirche bleiben.

Damit ist das Feld abgeschritten, die Tätigkeit der Kirche in den Pfarrämtern und Gemeinden zur Darstellung zu bringen, wie sie sich in den Antworten zu den gestellten Fragen präsentiert. Es geht um den Gottesdienst und den Gottesdienstbesuch, die Ausgestaltung der Gotteshäuser, um Wortverkündigung und Abendmahl, Bibelkenntnis und Bibelgebrauch, um die religiöse Presse, das Familienverständnis, und wie bisher schon üblich um das Phänomen der ausserkirchlichen Gemeinschaften und Sekten.

Im letzten Abschnitt bezeichnet der Verfasser, was er als Gebot der Stunde zu erkennen glaubt. Wichtig sind ihm das gute Verhältnis zwischen Gemeinde und Pfarrer, eine gute Beziehung von Kirche und Staat, Ausgewogenheit im Verhältnis von Glaubensfreiheit und Bekenntnis, die Einheit der Kirche im Kampf gegen den Säkularismus, der verstanden und definiert wird als zielbewusste Ausschaltung Gottes und der Religion aus der Kultur und dem Volksleben, schliesslich wie einleitend programmatisch schon festgestellt worden ist, die Heranziehung der Laien.

Im Anhang finden sich die Kirchenbehörden: Synode, Synodalrat und Prüfungskommission, die kirchliche Statistik sowie eine sehr detaillierte Übersicht über die Ergebnisse der vom Synodalrat angeordneten gesamtkirchlichen Kollekten.

Der Autor des Berichtes, der bernische Dichter und Schriftsteller Dr. Rudolf von Tavel, war Synodeabgeordneter und Mitglied des Synodalrates.